Essay
„Sehen heißt, die Bilder töten“1
Über Gewalt in den Inszenierungen von Johan Simons
von Koen Tachelet
Erschienen in: Arbeitsbuch 2023: Johan Simons – Dialog mit dem Tod (07/2023)
In Rezensionen wird der Regiestil von Johan Simons regelmäßig als „protestantisch” bezeichnet. Das mag mit Simons’ Einstellung zum Theater als Raum der Imagination zu tun haben. Seine Aufführungen haben eindeutig eine visuelle Qualität, die alle theatralischen Mittel mobilisiert. Dabei bedient er sich abstrakter Strategien, die seinen Hintergrund als Tänzer verraten: Ein theatralisches Bild ist bei Simons immer Teil einer größeren Konstellation, die die individuelle Darstellung zugunsten einer kollektiven Darstellung in den Hintergrund drängt. So wichtig Licht, Bühnenbild oder Musik auch sein mögen, es sind immer die Schauspieler, die, wie im modernen Tanz, ihre Körper zu Bildern machen. Deshalb steht bei Simons ein Bild niemals still; das Bild atmet, bewegt sich, denkt, reagiert. Simons ist äußerst misstrauisch gegenüber jeder Form von Illustration. Für ihn ist ein theatralisches Bild „bebildert”, wenn es sich vom Schauspieler und dem gesprochenen Text löst. Solche Illustrationen machen das Bild tot, die Tiefe des Textes flach, die Kommunikation banal. Hinter diesem Misstrauen verbirgt sich natürlich eine positive Wertzuweisung, insbesondere der Glaube an die Ausdrucksfähigkeit des Textes. Für Simons ist ein Text (im Prinzip gibt es Ausnahmen) besser geeignet, die Komplexität der Wirklichkeit zu erfassen als ein Bild. Denn ein Text ist nicht nur eine Mitteilung, sondern auch...