Gattungs-trouble
von Ulrike Haß
Erschienen in: Kraftfeld Chor – Aischylos Sophokles Kleist Beckett Jelinek (01/2021)
Assoziationen: Theatergeschichte
Das Theater der griechischen Antike beginnt mit einer Figur, die nicht ganz zum Theater gehört und die über das Theater, wie wir es kennen, hinausführt. Eine Figur der Pluralität, der Vielstimmigkeit und des Mehrfachen. Sie setzt diesseits der Eins ein und ist von den antiken Tragikern unterschiedlich gedeutet worden, ohne sie festmachen zu können. Ich untersuche diese Figur anhand einiger Stücke von Aischylos und Sophokles und frage: Welche Gründe werden für die Verteidigung Thebens angeführt? Wie beginnt die älteste, uns erhaltene Tragödie des Aischylos, Die Perser? Wie artikuliert sich inmitten des antiken Gattungstroubles die chorische Erinnerung an „ein Leben“ (Deleuze)? Inwiefern verlangt die Dramaturgie des Ödipus (mit Foucault gelesen) einen erweiterten Chorbegriff? Wie lässt sich der Chorbegriff auf Sphären kosmischer Kommunikation sowie auf Sphären eines niederen, nicht namhaften Wissens beziehen, welche definitiv keinem Einzelwesen zugehören? Ein Chor ist schon da, bevor irgendjemand ‚ich‘ sagt. Am Ort der Tragödie spricht dieser Chor. Er sagt auch ‚ich‘, aber es ist nicht das ‚ich‘, das wir kennen. Es kommt nicht aus einem Mund und es wird nicht angesichts anderer gesprochen.
Gattungs-trouble
Die antike Tragödie kreist um die Genese des herausragenden Einzelnen. Sie entsteht mit ihr und ist nur ihretwegen da. Sie zeigt...