Die Rolle verwerfen
von Ulrike Haß
Erschienen in: Kraftfeld Chor – Aischylos Sophokles Kleist Beckett Jelinek (01/2021)
Assoziationen: Theatergeschichte
Mit Jelinek geht es um das Verwerfen der Rolle Frau, mit dem die relativ junge Epoche der Rollen überhaupt zu Ende geht. Jelineks Schreiben öffnet sich für Räume ohne Vordergrund, in denen jedwedes einzelne und lokal beschränkte Ereignis mit einer Vielzahl von technischen, sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Implikationen und deren Wechselwirkungen in Beziehung tritt. An die Stelle von Rollen treten wandernde Figurenamen, die als Verkehrsknotenpunkte von Außenbezügen fungieren (Moderne Frauen). Jelinek radikalisiert das Chor-Werden der Einzelfigur in extremis (Sportstück). Ihre Dichtung entfaltet sich als ein schier endloses chorisch-monologisches Sprechen. Es schmiegt sich einer Wirklichkeit an, um diese bis in ihre kleinsten Verästelungen hinein zu demaskieren und der Lüge zu überführen. Das Sprechen der Wahrheit (parrhesia) ist stets ein riskantes Spiel nach beiden Seiten hin, der Sprecherin und der Wahrheit. Jelinek vollzieht dieses Spiel inmitten des öffentlichen Lügengeschreis, im Schreiben gegen die verheerende Zwei der Geschlechter und allen daraus folgenden Dichotomien (SCHNEE WEISS).
In seiner Rede über Elfriede Jelinek zum Büchner-Preis 1998 erinnert Ivan Nagel an ein Vorkommnis bei den Salzburger Festspielen im Sommer 1998.313 Als Leiter der Festspiele hatte er Jelinek eingeladen, als „Dichterin zu Gast“ das Literaturprogramm der Salzburger Festspiele zu bestimmen, den Gesamtentwurf wie jeden einzelnen Text....