Formen bilden, Formen vernichten
Bemerkungen zu neuen Wegen in der Schauspielausbildung
von Martin Gruber
Erschienen in: Lektionen 4: Schauspielen Ausbildung (12/2010)
Bemerkungen zu neuen Wegen in der Schauspielausbildung
„Form ist nie aus dem Gefühl der Sicherheit entstanden,
sondern immer im Angesicht des Endes.“
Ilse Aichinger, Das Erzählen in dieser Zeit
Die Alten in Japan sind mir bis heute im Gedächtnis. Die alten Meister, die ich bei meinen ersten Besuchen in „Dojos“ (Do: Weg; Jo: Ort) sah, zeigten mir mehr Do, als ich mir damals eingestehen konnte. Und es gab verblüffend viele von ihnen. Beim Aikido warfen sie leicht und präzise Männer, die doppelt so groß und weniger als halb so alt waren wie sie, immer wieder mit unglaublicher Ausdauer auf die Matten. Der Tänzer Kazuo Ohno, zu dieser Zeit um die achtzig, tanzte in seinem Dojo mit unangestrengter Tiefe länger und intensiver als wir, seine Schüler, und verwies uns damit auf unseren noch sehr langen Weg. Wir Jungen waren es, die neben den alten Meistern unbeholfen und alt wirkten.
Mein damaliges Vorurteil vom kollektiven Ich und der angepassten Diszipliniertheit der Japaner spiegelt mir nur noch den beschränkten Blickwinkel eines unerfahrenen Bayern. Diese „Alten“ bewegten sich so spontan und individuell, wie ich es mich in meiner Jugend nie getraut hätte: Als wären sie durch das tägliche Üben der strengen Formen ihrer Künste...