Auftritt
Bayerische Staatsoper: Pappfigur Hamlet
„Hamlet“ von Brett Dean, Libretto Matthew Jocelyn nach William Shakespeare, Musikalische Leitung Vladimir Jurowski, Inszenierung Neil Armfield, Bühne Ralph Myers, Kostüme Alice Babidge
Assoziationen: Bayern Musiktheater Bayerische Staatsoper München
Hamlet oder doch nicht? Das war die eigentliche Frage zum Auftakt der Opernfestspiele in der Bayerischen Staatsoper mit der Münchner Erstaufführung von Brett Deans Vertonung von Shakespeares „Hamlet“. Um es gleich vorwegzunehmen: War es nicht. Allzu drastisch waren die Veränderungen, die Brett Dean im Verbund mit seinem Librettisten Matthew Jocelyn an Shakespeares epochalem Seelen-Drama vorgenommen hatte, an das sich weder Tschaikowski, Verdi noch Wagner wagten. Ganze vier Fünftel der insgesamt viertausend Verse Shakespeares wurden gestrichen. „So etwas wie ein ‚Hamlet‘ gibt es nicht“, hatte Jocelyn in einem Interview im Programmheft zum Glyndebourne-Festival 2017, auf dem die Oper uraufgeführt wurde, gesagt. Schließlich sei die Quellenlage widersprüchlich – abgesehen davon, dass es wohl kaum einen Opernlibrettisten gibt, der sich um eine literarische Vorlage schert. Die Story einer dysfunktionalen Familie am dänischen Königshaus wollten Komponist und Regisseur (Neil Armfield) nun erzählen ohne die geopolitischen Aspekte des Dramas, die Spannungen zwischen Dänemark und Norwegen. Auch kein schlechter Opernstoff, der allerdings nur funktioniert, wenn die Essenz der Figuren herausgefiltert wird und Deans Musik mitspielt.
Doch was bleibt von Shakespeares charismatischer Figur, wenn ikonische Passagen und sein berühmter Monolog gestrichen und selbst das berühmteste Zitat der Theatergeschichte „To be or not to be“, das sinnbildlich für...
Erschienen am 4.7.2023
