Theater der Zeit

Social Fiction. Prozessuale Texterzeugung in SIGNAs Das halbe Leid

Ein Vorschlag zur Analyse zeitgenössischer Theaterereignisse

von Karin Nissen-Rizvani

Erschienen in: Recherchen 155: TogetherText – Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater (12/2020)

Es geht gar nicht so sehr darum, sich in einen Charakter hineinzudenken. Das Faszinierende ist eher, eine Figur zu erschaffen, die sich in einer Gesellschaft bewegt, und zu sehen, was auf diese Figur zukommt. Das Interessante ist nicht, was diese Figur macht, sondern was sie auslöst.1

In diesem Beitrag möchte ich drei Thesen aufstellen und in einem ersten Anlauf zu begründen versuchen. Erstens: Es gibt zeitgenössische Theaterformen, die nicht mehr sinnvoll allein mit dramen-, zeichen- oder performancetheroretischen Mitteln zu analysieren sind. Zweitens: Zu diesen ästhetischen Ereignissen gehören SIGNAs Shows, deren Besonderheit am Beispiel von Das halbe Leid herauszuarbeiten ist.2 Drittens: Mithilfe einer Dispositivanalyse nach Michel Foucault wird es möglich, das Besondere an diesen Formen des Gegenwartstheaters zu verstehen und zugleich eine aktuelle Methode für die Theaterwissenschaft zu etablieren.

Der Schwerpunkt der dispositivanalytischen Untersuchung liegt dabei auf dem Prozess der Texterzeugung in SIGNAs Show Das halbe Leid und auf den Gründen, mit denen man SIGNAs Show als Social Fiction theaterwissenschaftlich beschreiben und analysieren kann.

SIGNAs Show Das halbe Leid hatte am 16. November 2017 in der ehemaligen Werkhalle der Firma Heidenreich & Harbeck in Hamburg-Barmbek Premiere und wurde bis zum 14. Januar 2018 gezeigt.3 Es ist die dritte...

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