Theater der Zeit

Auftritt

MiR Puppentheater Gelsenkirchen/Das Helmi: Mühsam Morden

„Death is not the End“ nach Nick Caves Mörderballaden von Das Helmi Puppentheater – Regie und Textfassung Florian Loycke, Co-Regie Nolundu Tschudi, musikalische Leitung Jakob Dobers, Bühne und Kostüm Louise Pons

von Stefan Keim

Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Das Helmi Musiktheater im Revier

Bestialische Morde, und Lottie hat sie begangen: „Death is not the End“ nach Nick Caves Mörderballaden von Das Helmi Puppentheater.
Bestialische Morde, und Lottie hat sie begangen: „Death is not the End“ nach Nick Caves Mörderballaden von Das Helmi Puppentheater.Foto: Sascha Kreklau

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Sie heißt Loretta, wird aber lieber Lottie genannt. Sie erzählt von Menschen, die in Millhaven ermordet wurden, einem Kind, einer alten Frau, einem Handwerker, einem Professor. Bestialische Morde, und Lottie hat sie begangen. La la-la-la, la la-la-lie. Nun sitzt sie in einer geschlossenen Anstalt und ist ein glückliches Monster. Die Spielerin Gloria Iberl-Thieme lässt bei diesem Song eine Puppe mit grüner Haut, flatterigem Kleid und zotteligen roten Haaren über die Bühne fliegen. Manchmal liegt sie quer in der Luft, Lottie will etwas spüren. Mehr Erklärung gibt es nicht für ihre Lust am Morden.

Der Song „The Curse of Millhaven“ kommt nach einer Stunde, kurz vor der Pause des Stücks „Death is not the End“. Es ist der Höhepunkt des Abends, weil Gloria Iberl-Thieme ihn entspannt singt, weil sich Lottie mit Leichtigkeit bewegt, der Schrecken zum Musical wird und gerade so die nötige Schärfe bekommt. Tiefschwarze Romantik, der Tod ist eine erotische Erfüllung, der Tod der anderen natürlich. Hier ist spürbar, was aus der Idee hätte werden können, Nick Caves „Mörderballaden“ zu einem finsteren Puppen-Musical zu verarbeiten. Leider sind die zwei Stunden drumherum zäh, zerfasert und vor allem zerfaselt.

Das Kollektiv Das Helmi hat sich eine riesige Arbeit gemacht. Die Puppenspieler:innen aus Berlin sind den vielen Verweisen und Zitaten aus Nick Caves Songs nachgegangen, haben Bücher und Gedichte gelesen, der Rezeption von Nick Cave und sein weiteres Leben reflektiert, Spuren in den eigenen Biografien gesucht, Anekdoten und Geschehnisse aus Gelsenkirchen eingebaut. Denn das dortige MiR Puppenensemble hat das Kollektiv zu einer gemeinsamen Produktion eingeladen.

Während der Proben sind Unmengen an Schaumstoffpuppen entstanden. Das Ensemble hat sich ein Detektivduo ausgedacht, um eine Klammer für die besungenen Morde zu entwickeln. Die nach der Ausstatterin Louise Pons benannte schwangere Detektivin (Maximilian Teschemacher) ermittelt zusammen mit dem Schnabeltier Lt. Schnabel (ebenfalls die überragende Spielerin Gloria Iberl-Thieme). Sie geraten von einer Großstadtwelt, die Züge Gelsenkirchens trägt, in eine Wüste, die Nick Caves australische Herkunft spiegelt. Und am Ende kommen auch noch Aliens vorbei, was darauf basiert, dass der Großvater der Ausstatterin in den 1980er Jahren zwölf Stunden von Außerirdischen entführt wurde. Sagt sie im Programmheft.

Nun hat wohl niemand vom Helmi eine perfekt erzählte Geschichte erwartet. Die Stärke des Kollektivs liegt im Unfertigen, Rohen, Improvisierten. Doch diesmal kommt kein Flow zustande. Die Dialoge wirken staksig, der Rhythmus stimmt nicht, die Gags versanden. Nicht einmal die sonst so herrlich schrägen Puppen – einige bestehen nur aus Köpfen – erwachen zum Leben. Weil es einfach zu viele sind, sie bekommen keinen Charakter, bleiben optische Effekte.

Der musikalische Leiter Jakob Dobers hat Nick Caves Balladen, die zu einem großen Teil auf Folksongs basieren, ins Deutsche übersetzt. Das ist zwar überraschend gut gelungen, dennoch verändert sich der Resonanzraum. Auch weil meistens zu sauber gesungen wird, das Geheimnisvolle verschwindet. Doch vor allem stört der optische Overkill. Nach der Pause kommen dann noch ein bildungsbürgerliches Zitatgewitter und einmal sogar der pädagogische Zeigefinger dazu. „So, mothers keep your girls at home. Don’t let them journey out alone“, heißt es am Ende des Songs „The Kindness of Strangers“, der im Original gesungen wird. Und das Ensemble widerspricht Nick Cave, versteht seine finstere Ironie nicht: Nein, nicht die jungen Frauen sollen zu Hause bleiben, der böse Bube, der sie umbringt, gehört weggesperrt. Echt jetzt, Helmi?

Es ist ein Glück, das gerade der Cannabis-Konsum legalisiert wurde. Denn nüchtern ist diese Aufführung nur schwer zu ertragen. Gerade, weil hier so viel Talent nicht auf den Punkt kommt. „Death is not the End“ ist übrigens der einzige Song der Mörderballaden, der in Gelsenkirchen nicht gespielt wird. Der Abend hätte ohnehin einen anderen Titel verdient: „Mühsam morden“.

Erschienen am 7.5.2024

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