An den Rändern des Theaters
Filmische Annäherungen an Inszenierungen von Christoph Schlingensief
von Matthias Warstat
Erschienen in: Recherchen 91: Die andere Szene – Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm (07/2014)
Assoziationen: Dossier: Bühne & Film
Die Beziehungsgeschichte von Theater und Film ist nicht primär, aber auch eine Geschichte des gefilmten Theaters. Es wurden – betrachtet man diese Seite der Beziehung – vom einstmals neuen Medium Film nicht nur Darstellungskonventionen, Schauspieltechniken und dramaturgische Muster des Theaters adaptiert und transformiert, sondern auch Theaterformen explizit zum Gegenstand dokumentarischer Annäherungen mit der Kamera erhoben.1 Dokumentarfilme dieser Art sind für die Theatergeschichtsschreibung eine ergiebige Quelle, weil sie erkennen lassen, wie Theaterformen in einer bestimmten Zeit und Umgebung wahrgenommen, kontextualisiert und gedeutet wurden. Aus dokumentarischen Theaterfilmen kann man zeittypische Sichtweisen, Auffassungen oder sogar Theorien von Theater ablesen. Zweifellos haben sich über die Jahrzehnte hinweg bestimmte Muster des filmisch-dokumentarischen Umgangs mit Theater herausgebildet: etwa der Probenfilm, der einem Spannungsbogen vom ersten Probieren bis zur Premiere folgt, oder das Künstler-Biopic, das große Regisseure hochachtungsvoll und nicht selten auratisierend bei der Arbeit vorführt. Erfolg oder Blamage beim Casting, Nervenzusammenbrüche auf der Probe, das Über-die-Schulter-Spucken vor der Premiere, euphorische Gesichter beim Schlussapplaus – Versatzstücke, die von Routinen in der filmischen Inszenierung von Theater zeugen, haben sich als wiederkehrende Topoi des dokumentarischen Genres etabliert.2
Vor besonderen Schwierigkeiten stehen Theaterfilme allerdings, wenn sich das, was sie filmisch dokumentieren möchten, nicht klar als Theater...