Theater der Zeit

Auftritt

Nationaltheater Mannheim: Britney, erlöse uns!

„Genernation Lost“ von Greg Liakopoulos – Regie Branko Janack, Bühne und Kostüme Una Jankov, Musik Max Nübling

von Björn Hayer

Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Nationaltheater Mannheim

David Smith, Annemarie Brüntjen und Leonard Burkhardt in „Generation Lost“ von Greg Liakopoulos, Regie Branko Janack am Nationaltheater Mannheim. Foto Maximilain Borchardt
David Smith, Annemarie Brüntjen und Leonard Burkhardt in „Generation Lost“ von Greg Liakopoulos, Regie Branko Janack am Nationaltheater MannheimFoto: Maximilain Borchardt

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Mit „Zott Sahnejoghurt, sahnig fruchtig frisch und dann Hinein ins Weekend Feeling“? Mit „Harald“ eine „Flasche von die Bier, die so schön hat geprickelt in mein Bauchnabel“? Oder soll es doch einfach nur der „Bratmaxe“ sein, der ja immer „schmeckt, ob groß oder klein“? – Kennen Sie die noch? Diese Werbespots aus dem Fernsehen? Wenn nicht, wird Ihr Wissen nun am Nationaltheater Mannheim herrlich aufgefrischt, wo die deutschsprachige Erstaufführung von Greg Liakopoulos’ Stück „Generation Lost“ uns noch einmal in die jüngere Vergangenheit Jahre zurückwirft, nämlich mitten hinein in das Lebensgefühl der Millennials. Was macht die Generation ‚Why‘, geboren zwischen 1980 und 1999, aus? Natürlich fallen im Laufe des Abends die großen, ganz zentralen Begriffe: Candy-Crush, Calgon „Game of Thrones“ und eben Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Doch weitaus anregender fallen die vom Autor in der griechischen Gesellschaft zusammengetragenen Einzelstimmen aus. Wir erfahren von Niki, die nicht ohne Katzenvideos einschlafen kann, von Melissa, die zertifizierte Kristalltherapeutin ist, Johanna, die irgendwo in der Provinz lebt, Kostis, der mit über 30 erstmals Nudeln kocht, Vangelis, der angeblich nie rausgeht – auch wenn man ihn auf einem Foto im Raumanzug sieht. Wie viele andere dieser jeweils mit prägnanten Relativsätzen Porträtierten findet letzterer sich im zweiten Teil der Inszenierung in einer Diashow wieder, im ersten werden die Personen im Text wiederum mit jenen im Publikum assoziiert. Dazu geht Leonard Burkhardt durch die Reihen des Studiohauses und weist fast allen Anwesenden nach und nach einen Namen mit einem jeweiligen Charakteristikum zu. Passend, zumal ein nicht geringer Teil der Besucher:innen ohnehin der Y-Generation zuzurechnen ist. Auch wegen dieser identifikatorischen Nähe sehen wir uns in der ersten Hälfte auch in einem den gesamten Bühnenhinterraum verdeckenden Spiegel. Wir sind also stets (mit-)gemeint. 

Damit diese eigentlich eintönige Dramaturgie funktioniert, bedarf es zweier vom Theater vollends eingelöster Voraussetzungen: Erstens einen so humorvollen wie kurzweiligen Text, zweitens ein kongeniales Ensemble mit einem Gedächtnis, das seinesgleichen sucht. All die kuriosen Aufzählungen kommen einem Telefonbuch gleich. Nur muss man hier zu jedem Eintrag gleich noch die Nummer und die Vita parat haben. Wir verneigen uns sich daher vor diesen drei jungen Granden: David Smith, Leonard Burkhardt und Annemarie Brüntjen, die (neben Sarah Zastrau) zur aktuell besten Darsteller:in des Nationaltheaters zählen darf. Ihre Strahlkraft entfaltet sie insbesondere in der Schlussszene. Nachdem sich die vergangenen Dekaden vor uns wie ein Leporello aufgeklappt haben, tritt sie als Ikone der Millennials auf: Britney Spears. Schon zuvor teilen Song-Intermezzi von ihr das Stück in sieben Kapitel ein, nun sitzt sie – erinnernd an Leonardo da Vincis monumentales Gemälde „Das letzte Abendmahl“ – zwischen Fotokartons ihrer Familienangehörigen, isst Cornflakes und startet dann die große Show. Mit Playback der damaligen MTV-Charts des Teeny-Idols imitieren Brüntjen und ihre beiden Mitspieler deren Choreografien. Das hat Rasanz, Verve und Schlagkraft!

Obgleich man auf den ersten Blick annehmen könnte, bei dieser Realisierung handele es sich primär um eine nostalgische Retrospektive, trügt dieser Eindruck. Denn im Wust der zumeist amüsanten Einzelbeobachtungen wird man ebenso jener Momente gewahr, die sich einst dem kollektiven Gedächtnis schmerzhaft eingebrannt haben. So etwa die Ermordung eines Jugendlichen durch Polizist:innen, die verheerenden Effekte der Wirtschaftskrise in Griechenland oder rassistisch motivierte Straftaten. Geraten diese Ereignisse wieder ans Tageslicht, lässt der Regisseur Branko Janack uns kurz den Atem anhalten, ohne jedoch die Atmosphäre kippen zu lassen.

Es geht ihm eben schlichtweg um das Ganze: die Fatalität und die Größe einer Ära, um X-Factor-Mystery-Sound und Voice-Over-Lachen aus Sitcoms genauso wie um die Verdrängung politischer und sozialer Konflikte. So entsteht ein imposantes Panorama, das seine Farbe allen voran durch die Kraft der Schauspieler:innen erlangt.

Erschienen am 22.4.2024

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