Theater der Zeit

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Gespräch

„Delegieren ist auch eine Kunst“

Nach acht Jahren als Intendantin verlässt Dagmar Schlingmann diesen Sommer etwas früher als geplant das Braunschweiger Staatstheater – ein Gespräch über Leitungskompetenzen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ergänzt um einige Impressionen aus der aktuellen Spielzeit

von Jannick Stühff

Assoziationen: Akteur:innen Niedersachsen Dagmar Schlingmann Staatstheater Braunschweig

Dagmar Schlingmann verlässt nach acht Jahren als Intendantin diesen Sommer etwas früher als geplant das Braunschweiger Staatstheater.
Dagmar Schlingmann verlässt nach acht Jahren als Intendantin diesen Sommer etwas früher als geplant das Braunschweiger Staatstheater.Foto: Andreas Rudolph

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1986 begann Dagmar Schlingmann ihre Laufbahn als Regisseurin. 1998 wurde sie bereits erstmalig Schauspieldirektorin am Landestheater Linz. Im Zuge ihrer Tätigkeit als Generalintendantin des Saarländischen Staatstheaters wurde ebenjenem 2008 der Preis für das „Beste Opernprogramm“ verliehen und im Jahr 2019 wurde das Staatstheater Braunschweig, an dem sie seit 2017 als Generalintendantin tätig ist, von Theater der Zeit mit dem Martin-Linzer-Theaterpreis ausgezeichnet. Im Sommer dieses Jahres wird sie, nach 27 Jahren in leitenden Positionen an unterschiedlichen Häusern, ihr Dasein als Intendantin hinter sich lassen. Ihr Wunsch ist es, sich vollumfänglich auf ihre Aufgaben als Regisseurin und vor allem als Mutter konzentrieren zu können.

Eine der Inszenierungen, die während ebendieser letzten Spielzeit unter Schlingmann Premiere feierte, ist Klaus Manns „Mephisto“ in einer Bühnenfassung von Matthias Rippert. Eine historisch-politische Arbeit, die auf der Bühne des Großen Hauses zu sehen ist. Auch ohne das Herstellen ästhetischer Bezüge zur Gegenwart schafft es dieser pompös ausgestattete Theaterabend, sich für die Aktualität und Brisanz des verhandelten Stoffes starkzumachen. Im Verlauf der Vorstellung desillusioniert er das Publikum immer weiter, die Skrupellosigkeit und Perfidität von Populismus und Faschismus gegenüber Einzelnen wird offensiv ausgestellt. 

Das tut er teils auf ästhetischer Ebene – etwa, indem sich das zu Beginn noch gemütliche, indirekte Licht im Laufe der Zeit in ein immer steriler und kälter werdendes verwandelt –, aber auch anhand des Textes, der sich mit der moralischen Hilflosigkeit eines aufstrebenden Schauspielers in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auseinandersetzt. 

Jannick Stühff: Welche gesellschaftlichen Ereignisse haben Ihre Zeit in Braunschweig am stärksten geprägt?

Dagmar Schlingmann: „Natürlich der Rechtsruck, den wir momentan auf der ganzen Welt erleben; diese beispiellose historische Rolle rückwärts. Dann der Klimawandel, der durch die mit dem Rechtsruck einhergehende Diskursverschiebung leider immer weiter aus dem Sichtfeld gerät. Außerdem waren die Lockdowns während Corona und die mit der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung auftretenden Herausforderungen sehr prägend. Nicht zuletzt aber selbstverständlich auch der Krieg in der Ukraine, von dem Menschen auf der ganzen Welt wie paralysiert waren. Während ein Großteil unseres Publikums gerade zu Beginn eher das Bedürfnis hatte, sich durch das Theater ablenken zu lassen, verspürten wir als Theatermacher:innen das Bedürfnis, in den Inszenierungen unseren Standpunkt gegenüber diesem Überfall klarzumachen. Ein Spagat, der uns nicht immer ganz leichtgefallen ist.“

„Die Superwahl“ des Kollektivs Turbo Pascal im Kleinen Haus ist in dieser Hinsicht stellvertretend für die von Schlingmann gesetzten Prioritäten. Diese gelebte Simulation eines demokratischen Systems bringt nicht nur Kindern ab acht Jahren das Prinzip einer geheimen, gleichen und freien Wahl näher, sondern verzahnt auch die Strukturen eines Staatstheaters mit denen der Freien Szene. Das senkt die Einstiegsschwelle für jüngere Menschen auf Produktions- und Rezeptionsseite.

Über die Zusammenarbeit mit der HBK, das Fördern von jungen Regisseur:innen und Assistent:innen und nicht zuletzt auch Ihren Einsatz für die Spielstätte in der Husarenstraße als neues Zuhause für das JUNGE! Staatstheater haben Sie immer deutlich gemacht, wie wichtig Ihnen der Theater-Nachwuchs ist. Was ist besonders wichtig daran, jungen Menschen ihre eigenen Räume im Theater zu schaffen?

DS: „Vor allem muss es Orte geben, an denen sich junge Menschen gesehen fühlen und an denen sie das Gefühl haben, die Themen, die sie beschäftigen, bekommen eine Bühne und werden ernst genommen. Deswegen ist das JUNGE! mehrspartig, damit wir ein möglichst breites Angebot schaffen können. Wenn die kulturelle Wahlmöglichkeit fehlt, kann man nicht wissen, was einem gefällt und was nicht. Auf der professionellen Ebene war es mir wichtig, ein Sprungbrett für den künstlerischen Nachwuchs zu sein, sei es durch Autor:innenwettbewerbe wie den ‚Preis der jungen Dramatik‘, Uraufführungen oder eben durch die Vergabe von Inszenierungen.“

Oftmals findet besagter künstlerischer Nachwuchs in Braunschweig auf der Studiobühne des Aquariums im Kleinen Haus einen Ort, an dem erste Gehversuche unternommen werden können; doch auch erfahrene Regisseur:innen bedienen sich gern der intimen Atmosphäre der Spielstätte. So etwa Christoph Diem.

Der von ihm inszenierte Abend „Aus der Fremde“ nach dem gleichnamigen Sprechchor in sieben Szenen von Ernst Jandl ist eine wahre Freude für Sprachliebhaber:innen, die sich für die Darstellenden Künste begeistern können. Hier erzählen der autofiktionalisierte Jandl und seine ebenfalls literarisch adaptierte Partnerin Friederike Mayröcker, verkörpert von Tobias Beyer und Gertrud Kohl, aus dem Alltag des Dichters.

Der sich in vielerlei Hinsicht selbst kommentierende Text trägt durch seine tragikomische Ambivalenz, die voyeuristische Lust am augenscheinlich Phlegmatischen der Figuren und die für Jandls Texte so wichtige Struktur durch den Abend. Die treffsicher eingesetzte Drehbühne, die abermals kommentierenden Videoprojektionen und nicht zuletzt die Akkuratesse der Spielenden runden das Ganze schließlich ab. Eine immer wiederkehrende Tagesroutine, die von der Hoffnung gezeichnet ist, dass aus dem alltäglichen Trott heraus irgendwann von selbst etwas fundamental anderes hervorgeht – ein Bild, das oft auch dem Theaterbetrieb nicht ganz fremd ist. Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, festgefahrenen Strukturen aktiv entgegenzuwirken.

In welche Richtung muss sich das Theater als Institution Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren verändern? Was wünschen Sie sich von der und für die kommende Braunschweiger Intendanz?

DS: „In erster Linie wünsche ich mir, – und das ist die Aufgabe der Politik – dass eine infrastrukturelle Sanierung stattfindet. Und dann halte ich die Bewertung der Theater nach rein ökonomischen Maßstäben für nicht zielführend. Es ist wichtiger, über künstlerische Inhalte zu sprechen. Wir sind auf finanzielle Förderung angewiesen, um uns Innovationen und Experimenten widmen zu können – das gehört zu unserem Auftrag. Außerdem brauchen wir immer mehr qualifizierte Führungskräfte. All die circa 500 Mitarbeitenden bei uns am Haus haben ebenso unterschiedliche wie valide Bedürfnisse, denen es gerecht zu werden gilt. Und das wünsche ich mir auch für die kommende Intendanz: dass sie Vertrauen in die eigenen Leute hat und es schafft, in flachen Hierarchien zusammenzuarbeiten und Macht wie Aufgaben abzugeben. Denn darin liegt für mich die eigentliche Stärke einer guten Führungskraft. Delegieren ist auch eine Kunst.“

Aufgrund Ihrer familiären Situation legen Sie Ihr Intendantinnenamt früher nieder als ursprünglich geplant. Wie steht es denn grundsätzlich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenn man als Mutter am Theater arbeitet?

DS: „Einerseits hatte ich das Glück, dass ich nicht alleinerziehend bin, sondern einen Partner habe, mit dem ich mir die Care-Arbeit teilen kann. Andererseits war ich bereits Intendantin, als ich Mutter wurde. In einer Position zu sein, aus der heraus man bestimmte Entscheidungen viel einfacher treffen kann als aus anderen, ist sehr luxuriös. Nichtsdestotrotz ist die Betreuungssituation für alle Eltern, die am Theater arbeiten, absolut prekär. Ich hätte zum Beispiel gern so etwas wie eine hauseigene Kita eingeführt. Wir sind aber an zu strengen Hygieneauflagen für solche Einrichtungen gescheitert, die wir nicht leisten konnten. Dafür haben wir unter anderem einen proben- und vorstellungsfreien Montag etabliert, als sicheren freien Tag für das darstellende Personal, um alltägliche private Dinge besser planen zu können. So lässt sich wenigstens dieser Stressfaktor ein wenig reduzieren. Und auch eine Ferienbetreuung für die etwas älteren Kinder von Mitarbeitenden gibt es inzwischen. Größere, strukturelle Probleme müssen allerdings in der Politik gelöst werden.“

Erschienen am 7.5.2025

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