Theater der Zeit

Auftritt

Residenztheater München: Die Schickeria schlachtet ihre Kultfigur

„Mosi – The Bavarian Dream“ – Stückentwicklung/Regie Alexander Eisenach, Bühne Daniel Wollenzin, Kostüme Claudia Irro

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Bayern Alexander Eisenach Residenztheater

Modezar und Märchenkönig, Paradiesvogel und Kultfigur: Was steckt hinter dem Münchner Original Rudolph Moshammer? Alexander Eisenach dekonstruiert ihn in "MOSI" mit den Mitteln des Camp.
Modezar und Märchenkönig, Paradiesvogel und Kultfigur: Was steckt hinter dem Münchner Original Rudolph Moshammer? Alexander Eisenach dekonstruiert ihn in "MOSI" mit den Mitteln des Camp. Foto: Sandra Then

Anzeige

Anzeige

Der Münchner Modeschöpfer Rudolph Moshammer liebte es, die Obdachlosen zu beschenken. Und noch mehr liebte er das, wenn die Kameras der großen Medien blitzten. Mit seinem Luxusauto „Silver Seraph“ fuhr er bei den Bedürftigen vor. In diesem Auto sah man ihn auch nachts im Bahnhofsviertel der bayerischen Hauptstadt. In seiner Villa im noblen Vorort Grünwald versammelte er junge Männer zur erotischen Unterhaltung. Einer dieser Gespielen hat den Modezar 2005 mit einem Kabel erdrosselt. Mit der Stückentwicklung „Mosi – The Bavarian Dream“ blickt Alexander Eisenach, Hausregisseur am Münchner Residenztheater, nicht nur kritisch auf das Leben der schrillen Society-Größe. Ihn interessieren Parallelen zum Märchenkönig Ludwig II., der am 13. Juni 1886 in Berg am Starnberger See den Tod fand.

Mit stilisierter Perücke und Oberlippenbart inszenierte sich „Mosi“ wohl als Sonnenkönig, wie das einst auch Ludwig II. getan hat. Deshalb führt Oliver Rossol das Publikum mit der Kamera immer wieder an jenen Ort am See, in der der „Kinni“ ins Wasser gegangen sein soll. Eine Drohne zeigt den unheimlichen Ort mit Trauerkreuz und Gedenkkapelle von oben. Bilder vom toten Bayernkönig schockieren. Zunächst beginnt der Abend ganz in der Welt der Schönen und Reichen. Als die ersten Zuschauer im Marstall des Staatstheaters sitzen, schenken die Schauspieler Champagner aus. So, wie das auch Moshammer einst in seiner extravaganten Boutique getan hat, die nur wenige Gehminuten entfernt in der Maximilianstraße entfernt war. Dazu spielen die Musiker Benedikt Brachtel und Sven Michelson seichte Synthesizer-Musik. „Dreams are my reality“ hat Oliver Wollenzin in verspielter Schreibschrift auf den Hintergrund seines Kastens geschrieben, der den Spielraum begrenzt. So öffnet der Bühnenbildner Fenster, in denen das Leben des Modeschöpfers vorbeizieht. Da tuschelt und tratscht die Schickeria über den medienaffinen Münchner.

„Ihr wisst doch besser Bescheid über mich wie ich“, sagt Katja Jung in der Rolle des Modezars. Ihr Kostüm samt Perücke und blassblaugetönter Brille hat Claudia Irro stiilecht gestylt. So kannte und liebte die Münchner Society ihren „Mosi“. Denn auch die seriöse Society respektierte den Mann, der bis zu seinem Tod eine Kultfigur war. Mit seiner Mutter Else speiste er Hummer in den feinsten Sternelokalen. Immer dabei war das Schoßhündchen Daisy.

Diese Klischees, von der Münchner Boulevardpresse lustvoll ausgeschlachtet, dekonstruiert Eisenach in dem Auftragswerk. Da geht er zurück in die Kindheit des Knaben, den der strenge Vater in einen „richtigen Beruf“ wollte er den Knaben zwingen. Stark zeichnet Vincent Glander den Tyrannen, der gegen Frau und Kind keine Chance hat. Mutter Else nährte früh seine Träume von der Modewelt. Myriam Schröder serviert ihrem Buben auf einem roten Samtkissen billige Ölsardinen aus der Dose. Für mehr reichte das Geld nicht. Sie interpretiert die alte Dame, deren blau gefärbte Haartracht Furore machte, keineswegs als charmante alte Dame: „Die Menschen sind hart und hungrig. Sie fressen dich bei lebendigem Leib.“ Deshalb will sie aus ihrem Traumtänzer einen Geschäftsmann machen. Gnadenlos zelebriert Schröder die Macht dieser Übermutter. In dieser Konstellation ist Niklas Mitteregger als Sohn ein fast willenloser Spielball. Schön zeigt er die kalte Seite dieser vermeintlichen Harmonie.

Den teuflischen Pakt, den der Modezar mit den Medien einging, legt Hannah Scheibe als junger Geschäftsmann offen. Wohl wissend, dass die Kasse nur dann klingelt, wenn die Schlagzeilen stimmen, verkauft die Stil-Ikone gerade die schlüpfrigen Seiten ihrer Erfolgsstory. Eiskalt schlachtet der Reporter diese Mediengeilheit aus. Wunderbar spielt da der junge Lukas Rüppel sein komödiantisches Talent aus, das blitzschnell in einen gnadenlosen Killer-Instinkt umschlägt. Skrupel kennt die Boulevardpresse nicht.

Mit 70 Minuten ist der Theaterabend berauschend kurz. Das ist zu knapp, um die Macht des Medienapparats in der Tiefe zu hinterfragen. Dennoch gelingt es dem Ensemble, die Geschichte einer Gesellschaft zu erzählen, die mit schlüpfrigen Schlagzeilen genährt und belogen werden will. „Mosi“ ist in seiner Lesart nicht nur ein Spielball der Medien und seiner Mäzene, die seinen luxuriösen Lebensstil möglich machen. Er beutet das verlogene System selbst aus. Dabei geht es dem Regisseur weniger um die Kunstfigur als um eine Gesellschaft, die ohne solche Scheinwelten nicht leben kann. Mit seinem grausamen Tod sichert sich „Mosi“ die ultimative Medienpräsenz. Diese Wahrheit legt Eisenach in aller Härte offen. Dass ihm die Balance zwischen Lachen und Schrecken dabei nie entgleitet, macht den Reiz des Theaterabends aus.

Erschienen am 30.4.2024

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Das Ding mit dem Körper. Zeitgenössischer Zirkus und Figurentheater
Theaterregisseur Yair Shermann