Wir werden auch schöne Tage sehen
von Zehra Doğan
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Die Tauben sind im Gefängnis bei uns geblieben und haben ihre Nester in den Stacheldraht gebaut. Zuerst dachten wir: So schützen sie sich und ihre Kinder vor den Katzen. Aber dann sahen wir, dass einige im Stacheldraht hängen blieben und sich schwer verletzten. Manche starben. Die ganze Welt stand ihnen offen. Warum kamen sie ausgerechnet hierher? Zu den Kurd*innen, denen nicht die ganze Welt offenstand, die schon immer in Lebensgefahr waren, wie diese Tauben.
Mein Leben als Künstlerin in Europa hat 2019 begonnen, als ich meine Heimat verlassen musste und mit einem Künstler*innenvisum nach London zog. Das war nicht leicht für mich. In den Jahren 2015, 2016 hatten die Kurd*innen im türkischen Teil Kurdistans Autonomie gefordert, was zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem Staat führte. Zu dieser Zeit war ich als Journalistin in dem Gebiet unterwegs und sah mit eigenen Augen, wie hunderte Menschen getötet, tausende Häuser niedergebrannt wurden. Und weil ich ein Bild vom zerstörten Nusaybin gemalt hatte – einer kurdischen Stadt, in der die Kämpfe am heftigsten tobten –, wurde ich zu fast drei Jahren Haft verurteilt. Wegen „Verbreitung terroristischer Propaganda“. Kaum, dass ich aus dem Gefängnis entlassen war, drohte mir erneut die Verhaftung. Deswegen musste ich gehen....