Bei der Trauerfeier am 6. April in Berlin-Baumschulenweg gab es zehn lange Minuten der Unterbrechung, des stillen Eingedenkens und Betrachtens. Keine Schweigeminute, zu der man sich üblicherweise erhebt, sondern eine Situation ganz im Geiste des Verstorbenen. Denn eine der Lieblingstheorien von Andrzej Wirth galt einem „Theater ohne Publikum“. Nun war beim Abschied deren Umkehrung zu erleben: ein von ihm versammeltes Publikum ohne Theater. Ein Publikum freilich, das, von dem Theoretiker geschult, diesen Moment erkennen konnte und zu schätzen wusste als letzte Performance dieses großen Theatermanns aus drei Ländern, der wie kaum ein anderer Theorie und Praxis des Theaters, dessen Geschichte und Gegenwart bis in seine letzten Tage munter zusammenbrachte.
Geboren am 10. April 1927 in Włodawa, im Grenzland zwischen Polen, Weißrussland und der Ukraine, wuchs Wirth als Sohn eines Offiziers und einer dem polnischen Adel entstammenden Mutter in unruhiger Zeit auf. Der Hitler-Stalin-Pakt und die Besetzung Ostpolens durch sowjetische Truppen bedeuteten das Ende einer behüteten Kindheit und später den Besuch eines Untergrund-Gymnasiums in Warschau unter deutscher Besatzung, die für Polen keine höhere Schulbildung zuließ. Theater lernte er unter den Umständen der Okkupation nur als heimliche Rezitationsabende kennen, nicht als Bühnenereignis. Gleichwohl hatte er im Untergrund hervorragende Lehrer, die ihn auf...