Auftritt
Deutsches Schauspielhaus Hamburg / NEW HAMBURG: Das Referat der Abkopplung
„Ministerium für Einsamkeit“ – Regie Peter Kastenmüller, Bühne und Kostüme Aino Laberenz, Video Jan Speckenbach
Assoziationen: Hamburg Theaterkritiken Aino Laberenz Peter Kastenmüller Schauspielhaus Hamburg

Die Welt, die kommt, ist aus Einsamkeit gemacht ist. Einsamkeit macht krank und ist die neue Epidemie, das lässt das „Ministerium der Einsamkeit“ verlauten. Der Vereinzelung der Menschen will die Politik mit einer echten Behörde etwas entgegenstellen.
So weit, so gut!
Bereits seit es Facebook, Instagram und Tik Tok gibt und spätestens seitdem wir alle mehrfache Lockdown-Erfahrungen vorweisen können, ist Einsamkeit kein Tabuthema mehr. Wer jedoch hofft in diesem Ministerium werden Sie geholfen, den muss ich leider enttäuschen. Genauso wenig wie eine Anmeldung beim Jobcenter in Entlastung oder passende Lohnarbeit führt, erleichtern die hier vorgestellten Maßnahmen das rapide wachsende Gefühl der menschlichen Seele in unserer Gesellschaft.
2018 wurde in Großbritannien tatsächlich ein solches ministry of loneliness gegründet, nachdem die Politikerin Jo Cox, die sich dem Kampf gegen Einsamkeit verschrieb, auf offener Straße getötet wurde. Das Projekt vom Schauspielhaus Hamburg unter der künstlerischen Leitung von Peter Kastenmüller und Aino Laberenz findet nicht ohne Grund in der Immanuelkirche auf der Veddel statt. In dem multikulturellen Arbeiter:innenbezirk gibt es die zweithöchste Arbeitslosenquote in Hamburg. Über die Einsamkeitsquote ist nichts bekannt, doch dass sich bei Menschen, die in Armut geraten auch die sozialen Kontakte ändern und sie weniger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, dazu gibt es immer wieder Studien. Einsamkeit wird zum Politikum.
Bevor im neuen und dennoch miefigen Ministerium – einige Socken trocken am Wäschekreisel, einige Pappaufsteller stehen unsortiert herum – der Startschuss fällt, öffnet es für das Publikum die Türen zu seinen Abteilungen.
Nach einem kurzen Spaziergang vorbei an Klinkerbauten begrüßt uns der Sachbearbeiter des Referats „Notfallversorgung und Verbindungsdienst“ in seinem Container. Auf dem Tisch vor ihm steht klassisches Inventar: Ordner, ein Porzellanpudel und die 1,5 Liter Kaffeekanne. Jan-Peter Kampwirth spielt den Bürokraten im braunen Pullover mit Kassenbrillengestell und melancholischer Resignation, unter der die Wut über das eigene verschüttete Lebensfeuer darbt.
Er möchte in seinem Referat Einsamkeit sichtbar werden lassen. Das ist wichtig, weil es 14 Millionen einsame Menschen in Deutschland gibt. Er sagt auch, dass es dumm ist nichts dagegen zu tun. Dann verschwindet er auf die Toilette. Er will uns zeigen: Wenn einer geht, dann fehlt etwas. Er fordert uns auf, dass wir unserem Leben eine Wendung geben. Und gießt seinen Gummibaum auf der Fensterbank.
Was wäre ein Ministeriumsbesuch ohne Formulare? Mit Hilfe eines Fragebogens sollen wir unseren Einsamkeitsindex berechnen. Zukünftig werden einsame Menschen damit ein Sozialrezept beantragen können um Vergünstigungen im Kino oder bei Wohnungen zu erhalten.
Ich schiele zu der Dame neben mir und frage mich welche Zahl sie auf die Frage, wie häufig sie im Einklang mit ihrer Umgebung ist, oder sich als Teil einer Gruppe fühlt, hinschreibt. Noch während ich grüble, verkompliziert Dr. Rainer Bingell das Ausfüllen des Fragenkatalog ad absurdum. Ehrliche Auseinandersetzung ist die Sache des Amtes nicht.
Das Referat für „Musik und Isolation“ lädt uns auf die Empore der Immanuelkirche und verschafft uns einen Blick auf seine Langzeitstudie, in der es untersucht, ob Musik die Einsamkeit im Menschen auflösen kann.
Wir schauen von oben in eine Einzimmerwohnung mit Küche. Starke Bilder sind es, die die Inszenierung in diesem Teil findet: Zwei Menschen hausen vor hin. Einer liegt auf dem Bett, umarmt fest eine Vinylplatte. Der andere ruft seine Mutti an. Dann holt er die Trompete aus dem Kühlschrank. Er tönt zart blecherne Melodien durch das Fenster hinaus. Lars Rudolph spielt diesen Mann mit zerrüttetem Blick und Sorgenfurchen und gibt dem Abend eine stille Tiefe, nach der die Thematik schreit.
Während die beiden Männer mit Tesafilm und Synthesizer einen bedrohlichen Soundtrack improvisieren, zeigt die Videoprojektion vergrößert die Aktionen. Das Ei wird zum Symbol der Einsamkeit. Immer wieder wird es in Großaufnahme zerschlagen und gebraten. In Kombination mit dem elektronischen Sound wird die Szene so zum Horrorfilm.
Die nahegelegene Autobahn rauscht auf dem Weg zum Referat „Grundsatzaufgaben, Projektgruppe, Datenlabor und Wirksamkeit“. Im Viertel ist nicht viel los an diesem Mittwoch. Vor einem Schaufenster mitten im Stadtteil kommen wir zum Stehen. Wir tauchen ein in die Konflikte der Generation Z. Einerseits lebt sie im Internet, andererseits in der Realität. In blau-weißen Hoodies fragen sie: „Bin ich einsam, wenn ich kein Herz unter meinem Post sehen? Bin ich einsam, wenn ich auf das Stadtteilfest gehe? Bin ich einsam, wenn ich deine Sprache nicht verstehe?“
Persönlicher dürfen sie nicht werden. Das muss das Publikum übernehmen. Eine Dame wird zum ihrem Beziehungsstatus ausgefragt. Erfreut wirkt sie nicht.
Zurück in der Immanuelkirche beginnt der Eröffnungsakt. Der Politikerin, gespielt von Bettina Stucky, scheint das Ministeriums nichts zu bedeuten. Vielleicht war sie vorher noch bei einer Bäckereieröffnung oder einer Kabinettssitzung. In ihrer abgelesenen Rede sagt sie wenig. Gut verstanden, so sind Politiker. Und so sind Ministerien. Doch indem der kurzweilige und vielschichtige Abend zum wiederholten Mal den Rückzug in leere Absurdität vorzieht, rekapituliert er. Und verpasst die Chance, sich mit dem einsamen Publikum zu verbinden und den Schmerz von Isolation für einen Moment zu lindern.
Mit dem Gedanken, dass wir uns der eigenen Einsamkeit und der anderer annehmen müssen, um nicht selbst zu leeren Hüllen zu verkommen, bin ich näher am Leben dran, als ein Ministerium es je sein wird.
Erschienen am 24.5.2023