Magazin
kirsch kontexte: Was ein Kind weiß
Vom Sprechen, das aus den Gedärmen kommt
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Hamburgische Dramaturgien – Amelie Deuflhard und Karin Beier (04/2016)
Dass das Sprechen auf der Bühne nur dort gelingt, wo es nicht aus dem Kopf kommt, sondern direkt aus den Füßen und aus dem Bauch – aus den Gedärmen, wie Dimiter Gotscheff gerne sagte –, es ist eine Theaterweisheit, die man häufiger hört und die doch zu den missverständlichsten zählen dürfte. Denn gemeint ist hier keinesfalls, dass ein guter Schauspieler jener Art Bauchgefühl folgen sollte, von dem in Ratgebern à la „Sorge dich nicht, lebe!“ die Rede ist. Eine solche Weise des Sich-selbst-Vernehmens dürfte eher der zuverlässigste Weg sein, die Bühne mit Narzissten zu bevölkern, die ausagieren, was sie für ihr Ureigenstes halten, während es doch mit tödlicher Sicherheit aus eingeübten Bilderund Zeichenreservoirs stammt, deren Verinnerlichung lediglich vergessen wurde.
Nein, das aus den Gedärmen kommende Sprechen ist komplizierter – und doch viel einfacher. Es ist sogar so simpel, dass die Kinder es wissen und die Erwachsenen es vergessen: Vor einiger Zeit erzählte einmal ein Bekannter von seinem kleinen Sohn, der, als er Bauchschmerzen hatte, das Grummeln in seinem Magen mit dem Satz erklärte: „Das sind all die Wörter, die ich noch nicht sprechen kann.“ Der Junge könnte einmal ein großer Bühnenkünstler werden.
Tatsächlich gibt es ein direktes theatrales Pendant zu...