Das Komisch-Lächerliche und das Ernste
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Das pragmatische, mythisch-religiöse ganzheitliche Denken und seine Praktiken, für die die natürliche Welt in aktiver Verbindung mit einer übernatürlichen „anderen“ Welt steht, ist in hohem Maße ein Erklärungs- und Wertungssystem von Differenzen, von Gegensätzen, einschließlich jener zwischen Natur und Kultur, der Schöpfung der Menschen, und damit auch der Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Vorgänge.252 Ideologisch drückte sich das nicht selten in gleichsam „praktischen Religionen“253 aus.
Die mittelalterliche Literatur in Latein verhandelnd, und zwar gerade die ernsthaft religiöse, sieht Aaron J. Gurewitsch die „ambivalente, ernsthaft-spottende [russ.: smechovoe] Haltung zum Teufel“ als eine „wesentliche Erscheinung der Religiosität des Volkes“. Der spottende, komische Aspekt müsse hier als organisches Element der Struktur des Ernsthaften begriffen werden.254 Ein Bezugspunkt für ihn war Olga Frejdenbergs Aufsatz über die Entstehung der Parodie, der 1925 von der wechselseitigen Verknüpfung parodistischer und sakraler Aspekte in archaischen, antiken und mittelalterlichen (europäischen) Kulturen handelte. Der „Zusammenhang der Gottheit mit dem parodistischen Element“ gehöre „zum älteren religiösen Konzept“.255 Indem das Parodistische ursprünglich ein untrennbarer Aspekt des Gotteskonzepts war und so das Komische das Tragische begleitet habe, sei die „Umstellung der Rollen“ einer der „religiösen Topoi des alten Menschen“ gewesen. Die absolute Gemeinsamkeit der zwei Formen des Denkens, des Tragischen und...