Leidenschaft für das Theatrale
Das „gutgemachte“ Konversationsstück
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Der Boulevard du Temple in Paris hatte eine Breite von dreißig Metern, war 1778 gepflastert worden und so bestens geeignet zum Flanieren und für theatrale Darbietungen. Carlo Goldoni erlebte ihn schon 1770 als einen Liebslingsraum der Pariser, „angenehm und gesund“ gegenüber den stickigen Straßen des inneren Paris:
Menschenmengen, ein erstaunlich betriebsamer Verkehr, Jungen, die zwischen Pferden und Wagenrädern herumschnellen, um alle möglichen Waren anzubieten, Stühle auf den Gehwegen für die Müßiggänger, die die Welt an sich vorüberziehen sehen wollen, und für Damen, die einfach nur gesehen werden möchten, Cafés, gut ausgestattet mit Orcherstern und italienischen Sängern, Köchen, Restaurateuren, Puppenshows, Akrobaten, Ausrufer, die einen zum Eintritt einladen, und Riesen und Zwerge, wilde Tiere und Meer-Monster, Wachsfiguren, Roboter und Bauchredner sind zu sehen.19
Seit den 1760er Jahren hatte man versucht, entlang des Boulevard du Temple stehende, wesentlich kommerziell orientierte Theater einzurichten, die mit den drei großen lizenzierten und unter dem Ancien Régime auch subventionierten Theatern (Comédie Française, Oper, Opéra Comique) konkurrierten. Im Unterschied zu den Jahrmarktsbühnen sollten sie während des ganzen Jahres ohne feste Ensembles arbeiten, mit je für eine Inszenierung engagierten Darstellern und durch Kontrakte gebundenenen Autoren für die Stücktexte.20 Diese Organisation wurde zum Modell für die während des...