Theater der Zeit

Gespräch

Was macht das Theater, Monika Grütters?

von Dorte Lena Eilers, Jakob Hayner und Monika Grütters

Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)

Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...?

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Frau Grütters, nach Ihrer ersten Theaterreise im vergangenen Jahr in den Westen, ging es diesmal in den Osten. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie dort gewonnen?
Es war mir ein großes Anliegen, mich bei meiner zweiten Theaterreise über die aktuelle Arbeit der Theater gerade in den östlichen Bundesländern zu informieren. Im Vergleich zum Westen der Republik gibt es im Osten viel mehr Bühnen, auch viele kleine und mittlere. Um gerade diese Theater jenseits der Metropolen zu stärken, hat mein Haus im vergangenen Jahr den Theaterpreis des Bundes vergeben. Ich habe bei dieser zweiten Reise – in die Region, in die kleinen Orte – eine noch größere Nähe zu den Theatern mit ihren existenziellen Nöten empfunden. Hautnah war zu erleben, dass viele Häuser um Anerkennung und Wertschätzung, ja teilweise um ihr Überleben kämpfen. Gleichzeitig war es dann auch berührend zu sehen, wie zum Beispiel das Senftenberger Publikum mit seinem Theater über Wochen das 70. Jubiläum feierte: Das Theater wurde dort zum großen gesellschaftlichen Ereignis! Für mich war dieser Einblick in die regionalen Besonderheiten der Häuser eine wertvolle Erfahrung.

Bei der Gesprächsrunde in Chemnitz wurden viele Problemfelder angesprochen, über sinkende Zuschauerzahlen, die abnehmende institutionelle Förderung, die Privatisierung zahlreicher Bühnen, Outsourcing der Werkstätten, Haustarifverträge, die zum Nachteil der Beschäftigten sind, fehlendes Geld für Produktionen und die mangelnde Akzeptanz in den Regionen. Wie kann man mit politischen Mitteln auf eine solche Situation der Theater, wie sie beispielsweise aus Brandenburg, Altenburg, Chemnitz und Radebeul geschildert wurde, reagieren?
In den Diskussionsrunden wurde ja durchaus differenziert. Sinkende Zuschauerzahlen waren weder in Chemnitz noch in Radebeul das Problem. Und selbst in Brandenburg, wo die neue künstlerische Leiterin Katja Lebelt darum kämpft, mit einer schwierigen Konstruktion überhaupt ein Theaterprogramm zu entwickeln, werden die eigenen Produktionen gut besucht, nicht aber die Gastspiele aus dem Verbund. Interessanterweise betonten alle, wie wichtig es ist, dass die Künstlerinnen und Künstler auch in der Region verortet sind. Alarmierend ist allerdings der Abbau einzelner Sparten oder ganzer Häuser. Da kann das gesamte geistige und kulturelle Klima einer Stadt aus dem Gleichgewicht geraten. Deshalb möchte ich nochmals an die Verantwortlichen in Land und Kommunen appellieren: Lasst die Theater nicht im Stich. Seid froh, dass es diese Einrichtungen und ihre künstlerisch, politisch, gesellschaftlich engagierten Kämpfer gibt – das gilt für Schauspieler, für Intendanten wie auch für das Backstage-Personal.
Was die Haustarifverträge betrifft, so sind diese nicht per se schlecht, auch das wurde deutlich. Natürlich stellen sie eine Abweichung von Flächentarifverträgen dar – und wir haben Beispiele gehört, die schon sehr schmerzen. Aber sie schaffen in vielen Fällen immerhin Planungssicherheit. Allerdings müssen die Rahmenverträge irgendwann auch wieder der Tarifentwicklung angepasst werden. Darüber wird gerade in Sachsen diskutiert.
Was die Themen Privatisierung und Outsourcing betrifft, so waren das allenfalls Themen am Rande. Ich möchte sie auch nicht verdammen, weil ja grundsätzlich nichts gegen Prinzipien der Wirtschaftlichkeit spricht. Da kommt es auf den konkreten Fall an.
Am meisten beeindruckt war ich von den Schilderungen des Schauspieldirektors aus Altenburg/Gera, Bernhard Stengele. Er erzählte, wie er mit seiner Theaterarbeit gegen einen spürbaren politischen Stimmungsumschwung, gegen Widerstand, Kritik und gegen populistische Gruppen in der Stadt ankämpft. Das möchte ich ausdrücklich unterstützen: Denn Theater sehen sich in der Verantwortung, auf gesellschaftliche Veränderungen einzugehen, sie sind auch politische Räume, die soziale Angebote schaffen. Gerade in den kleinen Orten, wo sich politisch derzeit einiges zum Negativen wendet, sind diese Theater als Einladung zum Dialog ungeheuer wichtig.

In Halle ging es speziell um die Situation der Schauspielerinnen und Schauspieler an Stadttheatern, die gerade jenseits großer Häuser zu nach wie vor schlechten Bedingungen arbeiten. Die Große Koalition hat sich bereits bezogen auf die Künstlersozialkasse und Sonderregelungen im SGB III um soziale Abfederung bemüht. Das betrifft festangestellte Schauspieler natürlich zunächst nicht. Daniel Ris von Art but Fair warf Ihnen vor, mit dem Theaterpreis das System der „Ausbeutung“ nur zu stabilisieren. Gibt es Überlegungen, die Instrumente, die dem Bund zu Verfügung stehen, vor diesem Hintergrund zu modifizieren?
Ich bin mit Herrn Ris in diesem Punkt nicht einer Meinung. Er möchte den Bund gerne mehr in die Verantwortung nehmen, um bessere Arbeitsbedingungen an den Theatern durchzusetzen. Doch weder ist der Bund Träger von Theatern, noch ist er in sonst einer Weise Tarifpartner. Mit dem Deutschen Theaterpreis will ich, soweit es möglich ist, Akzente setzen, den kleinen und mittleren Theatern zu mehr Aufmerksamkeit und größerer Wertschätzung verhelfen. Und ich verstehe den Preis auch als Ermutigung. Er soll die Theater in ihrer Rolle als Orte der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen würdigen und stärken. Strukturelle Veränderungen kann er natürlich nicht schaffen – aber genau darum geht es: um die Begrenzung der zum Teil extremen zeitlichen Arbeitsbelastung, um angemessene Gehaltsstrukturen innerhalb eines Hauses, um Hierarchien und Mitsprache. Ich habe im Rahmen der vorjährigen Theaterreise zum Beispiel Ensemblesprecher einer ganzen Theaterregion eingeladen, um derartige Probleme kennenzulernen. Das waren sehr eindrückliche Erfahrungen. Und ich hatte das Gefühl, dass die Anwesenden froh darüber waren, dass es überhaupt einmal ein Forum für einen solchen Austausch gab, denn gerade die Schauspielerinnen und Schauspieler kämpfen für ihre Sache manchmal auf sehr einsamem Posten.

In Jena versammelten sich auch Theatervertreter aus Weimar, Leipzig und Rudolstadt. Christian Holtzhauer, Künstlerischer Leiter des Kunstfestes Weimar, beklagte die desaströse finanzielle Lage des Festivals. Die städtische Förderung und damit verbunden auch die Landeszuschüsse drohen wegzufallen. Ursprünglich wurde das Kunstfest auch vom Bund gefördert. 2011 entschied sich der Bundestag gegen eine Fortsetzung. Sie sagten im Gespräch, das sei vor Ihrer Zeit gewesen. Immerhin waren Sie damals Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien. Jetzt stehen Sie in Sachen Kultur an der Spitze. Wie lässt sich das Festival, das größte und bekannteste Festival für zeitgenössische Künste in Thüringen, jenseits einer projekthaften Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes retten?
Ich verstehe die Sorge von Herrn Holtzhauer. Aber auch er weiß natürlich, dass primär die Länder für die Kulturförderung in ihrer Region verantwortlich sind. Der Bund konzentriert sich auf Aufgaben von gesamtstaatlicher Bedeutung. Natürlich sind Festivals – und gerade auch das Thüringer Kunstfest – wichtige Aushängeschilder des kulturellen Selbstverständnisses in den Ländern und Kommunen und gut für den Kulturtourismus. Doch der Bund kann im Einzelfall ein Ereignis mit großer bundesweiter Strahlkraft höchstens projektbezogen mitfinanzieren – so wie wir es ja auch im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Weimar getan haben – einen dauernden Anspruch darauf hat eine Region damit nicht. Das Geld muss auch mal woanders eingesetzt werden können. Darüber hinaus möchte ich auch das große finanzielle Engagement des Bundes für die Klassikstiftung Weimar herausstellen. Der Bund ist und bleibt ein verlässlicher Partner für Länder und Kommunen und macht durch ergänzende Fördermaßnahmen viele Vorhaben überhaupt erst möglich.

Ähnlich wie Bernhard Stengele aus Altenburg/Gera berichtet auch Steffen Mensching, Intendant in Rudolstadt, von der Schwierigkeit, ein politisch engagiertes Theater in kleineren Städten zu machen, in denen Vertreter rechtsradikaler, fremdenfeindlicher Kreise im Zweifelsfall wissen, wo der Intendant, die Regisseurin, der Schauspieler wohnt. Trotzdem geht das Theater diese schwierige Aufgabe an – ebenfalls unter problematischen Bedingungen. Das Haus ist neben der Oper in Erfurt und dem Theaterhaus Jena das am schlechtesten geförderte Haus in Thüringen. Was haben Sie Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff zu sagen?
Von dem unerschütterlichen und mutigen Engagement von Steffen Mensching und seinem Team bin ich tief beeindruckt. Sie setzen sich aktiv mit der schwierigen politischen Lage auseinander und versuchen, beharrlich umzusetzen, was Theater in dieser Situation Positives bewirken kann. Hier ist es wichtig, dass die Politik die Freiheit der Kunst verteidigt und wir uns hinter die Künstlerinnen und Künstler stellen. Das schließt selbstverständlich eine Förderung ein, in der die Achtung der Arbeit zum Ausdruck kommt. Herr Minister Hoff und ich werden sicherlich bei passender Gelegenheit die Probleme eben dieser Häuser erörtern.
Gerade die Theater in den kleinen Orten – ich zähle neben Rudolstadt auch Senftenberg dazu – sind für mich wahre Theaterwunder.

Wie schon im vergangenen Jahr hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Oktober zu einer Theaterreise geladen. Diesmal ging es mit Chemnitz, Halle, Jena und Senftenberg in den Osten des Landes. Hier spricht sie über ihre Erlebnisse. Ihr grundsätzlicher Apell: „Lasst die Theater nicht im Stich!“

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