11.5 Loslassen
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Vor einigen Jahren beobachtete ich an der polnischen Ostseeküste und ein deutsches und ein polnisches Kind, die gemeinsam eine Sandburg bauten, ohne dass das eine die Sprache des anderen kannte. Es wurde eine Burg mit Türmen, Flutgräben und Geheimgängen. Es gab keinen Plan. Die beiden improvisierten nicht nur mit Sand, Wasser, Stöckchen und Muscheln, sondern auch mit dem, was das andere Kind gerade vorgab. Sie gingen so sehr im Spiel auf, dass es in ihren Köpfen überhaupt keinen Platz für Pläne gab. Hätte man zwei Erwachsene an ihre Stelle gesetzt, würden diese wahrscheinlich versuchen, einander gestisch ihre Pläne zu erläutern oder gar einander Kommandos zu erteilen.
Die entscheidende Fähigkeit des Improvisierers besteht nicht darin, nach Ideen im eigenen Kopf zu suchen, sondern die Ideen loszulassen. Wenn man aufmerksam für das ist, was vor einem liegt, wird man immer assoziieren, das heißt „Ideen“ produzieren. Ideenlosigkeit wird einen nur dann befallen, wenn man an einer Idee festhält und diese nun leider nicht mehr zur neuen Situation passt. Wenn wir hingegen Moment für Moment wahrnehmen und emotional annehmen, ist genau die Assoziation die „beste“, die der aktuellen emotionalen Reaktion entspricht.
Sogar von grundsätzlichen Annahmen müssen wir manchmal loslassen. Was das eine Kind...