Engagement und Experimentierfreudigkeit
von Erden Kosova
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Es bedeutet einen Unterschied, ob ein ästhetischer Vorschlag, der auf dem Konzept des postmigrantischen Theaters basiert, in einem Randtheater in Berlin-Kreuzberg ausgearbeitet oder an einem Stadttheater an der Urstätte der Nationenbildung in Deutschland weiterentwickelt wird.
Der Wechsel vom Ballhaus Naunynstraße ans Maxim Gorki Theater 2013 war für Shermin eine Gelegenheit, ihre Aufforderung zum Überdenken von Zugehörigkeit und nationaler Identität im Kontext von Deutschland und deutschen Kulturinstitutionen zu wiederholen und zu bekräftigen. Ihr Plan war es, das Gorki in der historisch aufgeladenen Umgebung zu verorten – mit einer Biennale für zeitgenössische Kunst und Performance, die unmittelbar Bezug nehmen sollte auf das hundertste Jubiläum der bahnbrechenden Ausstellung „Erster Deutscher Herbstsalon“ (1913) – damals organisiert von Herwarth Walden, einem bedeutenden Kunstexperten seiner Zeit, zur Förderung kosmopolitischer und experimenteller Kunstpraktiken.
Die Eröffnung der ersten Ausgabe des neuen „Berliner Herbstsalons“ am 9. November 2013 fiel bewusst mit dem 75. Jahrestag der „Reichspogromnacht“ und dem Jubiläum des Mauerfalls zusammen. Als Kunstkritiker, der sich mit der Kritik der nationalistischen Ideologie in der zeitgenössischen Kunst beschäftigt, wurde ich von Shermin eingeladen, Teil des Organisationsteams zu sein. Ich wollte die Gelegenheit nicht missen, an einer solchen Plattform mitzuwirken, die sich dezidiert auf aktuelle soziale und politische Fragestellungen stützt (in...