Die 1960er und 1970er Jahre
Deutsches Agitprop- und Dokumentartheater
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Wie die radikale Politisierung amerikanischer Truppen – siehe Dieter Herms’ Titel AGITPROP AMERIKA – als Erneuerung oder Wiederaufnahme des politisch-eingreifenden Theatermachens der 1920er und 1930er Jahre gelesen werden kann, erinnerten in Europa das sich neubildende Straßentheater, das Entstehen neuer „freier Gruppen“ und Happenings als ästhetisch nicht primär orientierte Bestandteile instrumenteller, „realer“ politischer Aktionen nicht nur strukturell an Agitprop, sondern suchten teilweise direkt daran anzuknüpfen.130
Parallel dazu kamen gesellschaftskritische und/oder radikal systemkritische Produktionen der öffentlich subventionierten Theater, die in der Hervorhebung des gleichsam Dokumentarischen, des Wahren der dargestellten Realitäten auf das Dokumentartheater der Weimarer Republik in den 1920er Jahren, vor allem auf Piscator verwiesen. Peter Weiss fasste 1968 Gründe und Ziele des Wiederauflebens zusammen: Es gehe um Kritik an Verschleierungen.
Werden die Meldungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen nach Gesichtspunkten dominierender Interessengruppen gelenkt? Was wird uns vorenthalten? Wem dienen die Ausschließungen? Um Kritik an Wirklichkeitsfälschungen und an Lügen. Welches sind die Auswirkungen eines geschichtlichen Betrugs? Welche einflussreichen Organe, welche Machtgruppen werden alles tun, um die Kenntnis der Wahrheit zu verhindern?“131
Piscator führte als Intendant der Freien Volksbühne in Westberlin die wichtigsten Dokumentarstücke auf. Im Unterschied zu seinen Produktionen der 1920er Jahre betonte man jetzt in der Hauptendenz...