2.2. Räume und Bühnen
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Was bedeutet das alles nun für das Theater? In einem Vortrag mit dem Titel »Barocke Heterotopien« aus dem Jahr 2009 hat Ulrike Haß die verblüffende Tatsache näher beleuchtet, dass die drei angeführten Raumvorstellungen sich nahtlos auf Bühnenformen des 17. Jahrhunderts abbilden, konkret: Descartes auf Nicola Sabbattini, Newton auf Giacomo Torelli, und Leibniz auf Andrea Pozzo.29 Die von Haß skizzierte Verschwisterung der architektonischen Konzepte mit den physikalischen Raummodellen ist in der Tat frappierend und lässt sich wohl nur recht einschätzen, wenn man sie wiederum als Ausdruck der selbstähnlichen Wissensorganisation der frühen Neuzeit begreift, mit der sich die einzelnen Diskursbereiche und Disziplinen wie Falten einer Halskrause übereinanderlegen. So entwickelt Sabbattini für die Architektur, genau wie Descartes für die Physik, ein System strikter Zweiteilungen, nicht nur zwischen Bühneninnenraum und Gebäudefassade, sondern auch zwischen scene und machine, zwischen dem szenischen Bildraum und dem maschinellen Bühnenapparat also, dessen Effekt die sichtbaren Erscheinungen der scene sind. Vor allem aber konstruiert er diesen Erscheinungen gegenüber einen idealen Betrachterstandpunkt im Raum – der Punkt, an den der Fürst in seiner Loge sein Gesicht bringt – der alle Züge der »res cogitans« aufweist: Er ist selbst ohne Ausdehnung, körperlos, und an ihm ist die maximale Einsehbarkeit gegeben. Dieser Punkt...