Pioniergeist
von Sema Poyraz
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
„Sema, ich brauche dich!“ Ich stand mit meiner Schwester und einer Freundin im Keller des Ballhauses Naunynstraße, wir tranken noch ein Glas nach einer Vorstellung, als Shermin Langhoff auf mich zukam. Sie suchte noch eine Protagonistin für das Stück Pauschalreise – Die 1. Generation, autobiografisches Theater, in einer Stückfassung von Hakan Savaş Mican. Ich dachte: Na ja, erzählen kann ich, meine Migrationsgeschichte ist ein bisschen anders als die klassische.
Am Premierenabend dachte ich, ich sterbe. Ich hatte einen längeren Monolog, direkt vor der ersten Reihe, wo Thomas Langhoff, Cornelia Froboess und die gesamte Berliner Kulturpolitik saßen. Für ein paar Sekunden hatte ich wirklich einen Blackout. Aber irgendwie ist es mir gelungen, zu sprechen. Michael Schottenberg, damals Leiter des Volkstheaters Wien, war in einer Vorstellung der Pauschalreise. Danach kam er auf mich zu und sagte in breitem Wienerisch: „Küss die Hand, gnädige Frau, Sie waren großartig.“ Ich erwiderte: „Das ist aber nett, ich stehe zum ersten Mal auf der Bühne.“ Er hat mich angeschaut und meinte nur: „Gnädige Frau, machen Sie keine Scherze.“
Ich habe 1970 als erstes türkisches Migrantenkind das deutsche Abitur gemacht. Ich war in den 70ern auch die erste türkischstämmige Studentin an der Deutschen Film- und...