Freitext der Verhältnisse
von Deniz Utlu
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Die Bar hieß Café :vorWien und wurde damals, 2004, von einem jungen Filmemacher aus Ankara und einem Kulturmanager aus Berlin betrieben. Der Schriftsteller Mutlu Ergün-Hamaz lief mit mir in das frisch eröffnete Café, in dem Sofas herumstanden und das wie ein alter türkischer Fußballverein oder ein Gewerkschaftsverband wirkte. Wir sind Autoren, sagte Mutlu, wir suchen einen Ort, an dem wir unsere Texte vorlesen können. So entstand die Lesereihe „tausend worte tief – gelesen wird immer“, in Anlehnung an den Song „A Thousand Kisses Deep“ von Leonard Cohen.
Unser Konzept war so einfach wie provokativ (was uns damals nicht ganz klar war): Es sollten nur Autor*innen eingeladen werden, die von Rassismus betroffen sein konnten, Autor*innen of Color, migrantisierte Autor*innen, jüdische Perspektiven, Schwarze deutsche oder asiatisch-deutsche Stimmen, Romni und Sintezza. Inhaltlich machten wir keine Vorgaben. In den Texten musste es nicht um Rassismus gehen, und oft tat es das auch nicht. Später führte ich diese Reihe in der Werkstatt der Kulturen unter der Leitung von Philippa Ebéné zwei Jahre lang fort. In jener Zeit gab ich das Kultur- und Gesellschaftsmagazins freitext heraus, das ich 2003 zusammen mit Sasha Marianna Salzmann und anderen gegründet hatte. Mit Essays, Interviews und literarischen Texten begleiteten wir...