Ein metallic-leuchtender Luftballon
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Ich hatte den silbernen Luftballon in Form eines Я an meinem Rucksack befestigt und verließ das Theater nach Mitternacht. Der Buchstabe drehte sich im Wind, man konnte ihn so oder so lesen: Als das lateinische R, als das ihn westeuropäische Augen meist zu identifizieren versuchen, und als das kyrillische Я, das Wahrzeichen unseres Studios. Ich lief gerade von der U-Bahn die Stufen zum Kottbusser Tor hoch, das Я glänzte im Laternenlicht metallic über meinem Kopf, als mir eine Gruppe glücklich Betrunkener entgegenkam. „Studio Я!“, schrien mehrere. „Ich liebe diesen Ort.“ Eine Frau trat näher und berührte meinen Luftballon. „Ging da heute Abend wieder was?“
Bei uns ging eigentlich immer was. Wir hatten zwar nur drei Tage die Woche auf, aber das künstlerische Team und viele, viele Assoziierte verließen die kleine Bühne des Gorki, das Foyer und unser Büro eigentlich nur zum Schlafen. Wir hatten bald nach der Eröffnung beschlossen, keine ausklappbaren Sofas anzuschaffen, denn dann würden wir nie gehen. Wir richteten uns trotzdem wie zu Hause ein. Wir nahmen die Schilder für „Mann“ und „Frau“ von den Toilettentüren, pflanzten Kakteen in die Pissoirs. Die Ausstattungsabteilung verteilte Marker und Spraydosen an die Künstler*innen, damit sie die Wände des Foyers mit ihren...