Theater an der außereuropäischen Peripherie
Einverleibung der Moderne in Südostasien
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Assoziationen: Asien
Seit Ende des 19. Jahrhunderts sollte die enorme Sogkraft der modernen Lebensweisen, Institutionen und Kulturen des kapitalistischen Westens die sehr verschiedenartigen Theaterlandschaften Südostasiens und Westafrikas in teilweise recht ähnlicher Weise prägen. Im Zuge der Übernahme westlicher Bühnentechniken, kultureller Muster und Wertelemente, Teil der unter kolonialen Bedingungen stattfindenden Modernisierung, entstanden neue moderne Formen mit mehrdeutigen, widersprüchlich vielschichtigen Gesichtern. Sie konnten von kritikloser Unterwerfung unter die Kultur der Kolonialmacht sprechen wie von einer durch den Kolonialismus nicht entscheidend beschädigten produktiven, für Veränderungen offenen eigenständigen Kultur. Und sie konnten, was Produktionen der (kleinen) Gruppen modern Hochgebildeter betrifft, ein Moment antikolonialer politischer Aktivitäten sein.
Am interessantesten ist die moderne populäre Theaterkunst, die, vorwiegend von Angehörigen der unteren sozialen Schichten gemacht, dem Beni-Phänomen ähnlich aus der Einverleibung der zunächst kolonial erfahrenen Moderne in die ureigene, traditionell stabil-flexible Darstellungskultur wuchs. Der Einfluss westlichen Kulturgutes begann seit Ende des 19. Jahrhunderts die reiche vormoderne Theaterlandschaft der holländischen Kolonie Indonesien wesentlich zu verändern.110 Mit der Gründung der Komedie Stamboel begann man auf der Hauptinsel Java mit Versuchen, in Anlehnung an das Melodrama und das „realistische“ Theater Europas betont nationale, mit deutlich antikolonialen Akzenten versehene indonesische Aufführungen zu machen. Die Übernahme europäischer Muster war keine einfache Nachahmung....