Hoch lebe das Theater!
von Michel Friedman
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Theater ist ein Vor-Ort. Ein Ort des Morgens. Immer einen Schritt voraus. Der Ort, an dem das Leben, der Mensch, die Tragödie, die Komödie verhandelt werden. Der Ort, an dem die Zwischengeschosse der Existenz, die Zweifel, die Verzweiflung, die Verletzung, die Kränkung verhandelt werden. Aber auch die Liebe, der Exzess, die Leidenschaft, die Trauer. Alle Menschengefühle, in ihrer Einmaligkeit, sind das Thema des Theaters. Aber das Theater, so finde ich, ist auch ein politischer Ort. Politische Kunst ist ein Missverständnis. Aber dass Kunst immer auch politisch ist, eine Selbstverständlichkeit. Das Gorki Theater ist so ein Ort. Konsequent, manchmal radikal. Dieses Theater engagiert sich. Befasst sich mit Themen, die nicht Mainstream sind. Gibt Menschen einen (geschützten) Raum. Lässt die Betroffenen selbst reden, anstatt über sie zu reden. Im Gorki ist eine Kunst entstanden, die es kaum sonst als Kernprogramm eines Theaters anderswo gibt. Schauspieler*innen, Regisseure*innen, Drehbuchautor*innen haben eine Adresse und Zuschauer*innen, die sich für Theater, migrantisches Theater, queeres Theater interessieren, haben eine zuverlässige Adresse.
Das Gorki experimentiert, entwickelt sich, bleibt nicht stehen, nicht stecken, ist bereit, Fehler zu machen, korrigiert sich, bewegt sich. Und manchmal, dann knallt es, dann explodiert es, dann redet man, dann verhandelt man, manchmal auch laut, manchmal...