Wer war Sergej Tretjakow? „Brechts sowjetischer Lehrmeister“, 1892 im heutigen Lettland geboren, schloss sich jung den russischen Sozialrevolutionären an. Kunst und Revolution waren seine Lebensthemen, sie waren eins für ihn. Als umtriebiger Publizist und herausragende Figur des Futurismus russischer Prägung wurde er Zeuge der Oktoberrevolution und Bolschewik. Als Theoretiker – seine Arbeit galt vor allem den Möglichkeiten einer neuen, revolutionären Kunst – und als Schriftsteller – sein Werk umfasst Dramen, Prosa, Lyrik und Reportagen – wurde er bedeutender Teil des sowjetischen Kulturlebens der zwanziger und dreißiger Jahre. Hier wirkte er als gleichberechtigter Partner und Wegbegleiter von Majakowski, Eisenstein und Meyerhold. Seine internationalen Arbeitsbeziehungen reichten bis zur deutschen Avantgarde: John Heartfield, Hanns Eisler und Bertolt Brecht, dessen „Maßnahme“ Tretjakow, wie erst kürzlich bekannt wurde, ins Russische übertragen hat, waren mit ihm im künstlerischen Austausch. Als Tretjakow 1937 von einem Stalin’schen Erschießungskommando hingerichtet wurde, hatte die politische Führung bereits dem künstlerischen Experiment den Kampf angesagt. Technokratie, Reglementierungswahn und Fantasielosigkeit waren tief vorgedrungen in den Kulturbetrieb.
Ist Tretjakows Biografie auch von unglaublicher Produktivität gezeichnet, ist der Blick auf sein Nachleben ernüchternd: Schwer hatten es seine Schriften in der DDR, wenn sie auch ihren Weg zum Publikum fanden; in der BRD hieß der Zensor...