Nachwuchs in der Musikkritik
von Siegfried Borris
Erschienen in: Theater der Zeit: Nachwuchssorgen (02/1947)
Die Musikkritik ist besser als ihr Ruf. Und doch, glaube ich, leistet sie heute erst einen Teil dessen, wozu sie berufen ist. Seitdem ihr die neu gewonnene Freiheit der Presse alle Voraussetzungen zur vollen Entfaltung gab, haben Publikum und Musikerschaft hohe Erwartungen darauf gesetzt, daß die Musikkritik sich als Mittler und Mahner, als Wegbereiter und Erzieher im weitesten Sinne im Dienste neuer Entwicklungen und Möglichkeiten erweise. Hat die Musikkritik diese Erwartungen erfüllt?
Hat sie nicht lediglich den alten Betrieb wieder in Gang gebracht, in dem unter Anerkennung all der ‚mildernden Umstände' letzten Endes doch nur die Mittelmäßigkeit gestützt wird, aus der eine Neugestaltung des deutschen Musiklebens wenig Aussicht auf eine Zukunft mit eigenen Zügen und neuen Werten hat?
Gewiß, die Ära der Diktatur gefürchteter Kritiker ist ebenso vorüber wie die Konjunktur für bloße Konzert- und Veranstaltungsreporter, die als ‚aktuelle Klangberichter' kaum mehr bieten, als dem snobistischen Teil des Publikums einen Ersatz für das ‚Nichtdabeigewesensein' zu vermitteln. Es fehlt weder an fachlichem Wissen noch an beruflichem Ernst. Aber wie auf vielen kulturellen Gebieten vermißt man heute auch bei der Musikkritik oft den Elan, der nur bei dem Bewußtsein, von zukunftsstarken neuen Ideen getragen zu werden, lebendig bleibt und lebendig weiter wirkt....
