Kolonialismus und imperiale Modernisierung
Die subversive Kraft des importierten Theaters: Indien
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Assoziationen: Asien
Der Ansatz der antikolonialen Dramatik Südafrikas verweist auf die vertrackte Doppelgesichtigkeit imperialer Kulturexporte. Sie haben (hatten) auch das Potenzial, eine produktive soziokulturelle Modernisierung mit zu befördern. So lehnten sich Theatermacher in Asien an westliche Modelle für ihre eigene anti-kolonial gerichtete Kunst an, wie die indonesische Gruppe Komedie Stamboel, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts auf der Hauptinsel Java aktiv war, und wie ihr nachfolgende Aktivisten, die sich Darstellungsweisen des Melodramas in Europa, nicht nur der der holländischen Besatzer für ihre anti-kolonialen Produktionen bedienten. In den 1920er und 1930er Jahren inspirierte dann Europas gesellschaftlich engagiertes Theater Versuche eines modernen nationalen Theaters. Wahrscheinlich auch mit Blick auf Ibsens GESPENSTER behandelte 1930 ein Stück das für die indonesische Gesellschaft drängend gewordene Syphilis-Problem.196 Und so spielte das literaturbasierte Bildbühnen- oder Guckkastentheater auch für die traditionell vielfältige Theaterlandschaft des indischen Subkontinents eine komplexe, widersprüchliche Rolle.
Während ihrer Kolonialherrschaft ließen die Briten die ländlichen Traditionen relativ unberührt. Da sie ihre Politik auf die Zusammenarbeit mit den Feudalherren stützten, lag es nicht in ihrem Interesse, bestehende soziale Strukturen zu ändern. Die Großstädte dagegen bauten sie aus und gestalteten sie nach britischem Vorbild und nach ihren imperialen Bedürfnissen. Das...