Theater der Zeit

Auftritt

Bühnen Bern: Liebe ist stärker als Zerstörung

„Götterdämmerung“ von Richard Wagner – Musikalische Leitung Nicholas Carter, Regie Ewelina Marciniak, Bühne Mirek Kaczmarek, Kostüme Julia Kornacká, Choreografie Mikołaj Karczewski

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Schweiz Theaterkritiken Musiktheater Ewelina Marciniak Bühnen Bern

Cassandra Wright als Gutrune in „Götterdämmerung“ in der Regie von Ewelina Marciniak. Foto Rob Lewis
Cassandra Wright als Gutrune in „Götterdämmerung“ in der Regie von Ewelina MarciniakFoto: Rob Lewis

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Krieg, Tod und das Ende der menschlichen Zivilisation. Die dunkle Seite des Heldenmythos steht im Fokus von Richard Wagners „Götterdämmerung“, dem vierten und letzten Teil des „Rings der Nibelungen“. An den Bühnen Bern hat Star-Regisseurin Ewelina Marciniak alle vier Teile des Bühnenfestspiels in Szene gesetzt. Nicholas Carter, Ko-Chef der Berner Oper, peitscht mit dem Berner Symphonieorchester die musikalische Untergangsvision des Komponisten auf ein dramatisches Ende zu. Der Fokus liegt nicht mehr auf Siegfried, dem Helden. Brünnhilde, seine einzige wahre Liebe, bringt die zerfallende Welt wieder ins Lot. In dieser Rolle glänzt die Mezzosopranistin Claude Eichenberger in dem fünfeinhalbstündigen Abend am Berner Opernhaus.

Mit ihrem radikal weiblichen Blick auf den letzten Teil von Wagners „Ring“ legt Marciniak die blutige Wirklichkeit der nordischen Heldenwelt offen, die Wagner in seinen Bühnenfestspielen verklärt. Während der Drachentöter Siegfried sich von den Ränkespielen der betrügerischen Geschwister Gunther und Gutrune einlullen lässt, kreiert der Choreograf Mikołaj Karczewski im Hintergrund eine zerstörerische Parallelwelt. Die Körper der Tänzerinnen und Tänzer schreien die Ungerechtigkeit heraus, die sich hinter den strahlenden Heldenmythen verbirgt. Diese Spiegelung berührt. Einer der Tänzer wird mit Theaterblut übergossen, windet sich in einem Glaskäfig im Todeskampf. Starke Akzente setzt der Opernchor, den Zsolt Czetner leitet. Mit Helmen und Rüstung begleiten die Sängerinnen und Sänger Siegfried in den Tod. Wagners Vision vom Gesamtkunstwerk setzt das Dreispartenhaus in der Schweizer Bundeshauptstadt um.

Auf einem Sofa mit Bücherstapeln hat sich Brünnhilde eingerichtet. Da sitzt die eigentliche Heldin der „Götterdämmerung“ und liest. Eichenberger zeichnet die Figur als eine kluge Frau, die ihren Weg geht. Der Heldentenor James Kee demontiert seinen Siegfried mit kraftvoller Stimme und kluger Schauspielkunst. Regisseurin Marciniak lässt das Ensemble ihre Rollen hinterfragen. Cassandra Wright als Gutrune bringt Siegfried mit einem Zaubertrank dazu, seine Brünnhilde zu vergessen. Doch die Sopranistin lässt ihre Figur daran zerbrechen. In Wagners „Götterdämmerung“ gibt es keine Sieger. Der letzte Teil des „Rings“ wurde 1876 bei den Bayreuther Festspielen uraufgeführt. Wagners düstere und zugleich monumentale Zukunftsvision hat er Jahrzehnte zuvor unter dem Eindruck der Revolution von 1848/49 konzipiert. In der „Götterdämmerung“ steht die Zerstörung aller Wertesysteme im Fokus. Nicht nur die Partitur, auch die Dichtung stammt von Richard Wagner.

Gerade der antiquierte Text macht das monumentale Opernwerk schwer zugänglich. In der Berner „Götterdämmerung“ dominieren große Theaterbilder. Mirek Kaczmarek hat einen Bühnenraum geschaffen, der im besten Sinn zeitlos ist. Die grünen Lichtflächen, die den Raum im „Siegfried“ dominierten, werden von schwarzer Düsternis zurückgedrängt. Immer wieder blitzt die Erinnerung an bessere Zeiten auf, als Träume vom Rheingold und von der Liebe den Helden zu Höchstleistungen antrieben. Dunkle Töne dominieren auch die Kostüme von Julia Kornacka. Die Kostümbildnerin setzt auch di Farbe Schwarz, auf kaltes Blau und auf ein Weiß, das alle Leuchtkraft verloren hat.

Im letzten Teil des Festspiels überwiegt der Hass. Als Siegfried sich in die Fänge von Gunther, Gutrune und ihrem Halbbruder Hagen begibt, hängen geschlachtete Tierkadaver von einer Stange. Das schreckliche Bild der Vernichtung gräbt sich tief ins Gedächtnis. Als Außenseiter der zerfallenen Familie legt Christian Valle seinen Hagen an. Stark und scheinbar souverän tritt er auf die Bühne. Mit dunkler Bassstimme strahlt er Souveränität aus. Doch der Schein trügt. Valle entlarvt einen zerrissenen Mann. Nachdem er Siegfried hinterlistig ermordet hat, wird er selbst von den Rheintöchtern in die Fluten gezogen. Mit goldenen Klumpen tanzen Marcela Rahal, Patricia Westley und Evgenia Asanova durch die Fluten. Sie fordern den Ring des Nibelungen zurück. Den Wunsch erfüllt ihnen Brünnhilde. Aus Liebe zu Siegfried, dem sie den Verrat verziehen hat, geht sie selbst ins Wasser. Wunderschöne Meereswellen simuliert Ausstatter Kaczmarek für ihr Ende. Darin versinkt die Heldin. In der Tragödie liegt eine positive Vision, die in der Berner „Götterdämmerung“ faszinierend nachhallt: Liebe ist stärker als Tod und Zerstörung.

Erschienen am 4.4.2025

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