Auftritt
Nationaltheater Mannheim: Die Wunden des Populismus
„Nathan“ von Nuran David Calis – frei nach Motiven von Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ (UA) – Regie Nuran David Calis, Bühne Irina Schicketanz, Kostüme Anna Sünkel, Video Karnik Gregorian, Rap-Texte Toni L.
von Elisabeth Maier
Erschienen in: Theater der Zeit: Überschreibungen des Kanons – Antike und Gegenwart – „Ajax“ von Thomas Freyer (01/2024)
Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Nuran David Çalis Nationaltheater Mannheim
Zeitgeist spiegeln die Worte des Hiphop-Künstlers Toni L. aus Heidelberg. Doch der Künstler geht viel tiefer. „Wer kennt die Wahrheit? Gewiss hat jeder seine eigene. Nur der Antisemit und der Rassist haben keine einzige.“ Der Mann mit der Schiebermütze hat in der Region eine riesige Fangemeinde. Auf großen Bildschirmen berührt der Rapper mit seinen Texten für Vielfalt und ein friedliches Miteinander das Publikum. Nuran David Calis’ Überschreibung von Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ bewegt sich am Puls der multikulturellen Gesellschaft. In der Ausweichspielstätte des Nationaltheaters Mannheim im ehemaligen Kino der US-Streitkräfte auf dem Franklin-Areal hat der Regisseur den Klassiker der Aufklärung auf die Bühne gebracht. In Zeiten des Kriegs im Nahen Osten ist Lessings großes Drama der Toleranz das Stück der Stunde. Denn auch in der deutschen Gesellschaft sind jetzt die Risse deutlicher zu spüren denn je. Rassismus frisst sich wie ein Krebsgeschwür in die Köpfe der Menschen.
Gerade vor diesem Hintergrund der Krisen und Kriege verspricht Calis’ Ansatz spannendes Zeittheater. Der Sohn eines armenischen Vaters und einer jüdischen Mutter weiß aus der eigenen Familiengeschichte, wie wichtig ein offener Dialog der Religionen ist. Doch da reißt der Krieg in Israel und im Gaza-Streifen Wunden auf. Calis’ Familie kam aus...
