Bericht
Neuer Materialismus im Neuen Zirkus
Das dreitägige Festival Zeit für Zirkus mit diesjährigem Schwerpunkt in Berlin fiel vor allem durch das Forschungsinteresse für ungewöhnliche Materialien und Objekte auf
von Tom Mustroph
Assoziationen: Zirkus Theaterkritiken
In einem Kellerraum in den Hackeschen Höfen ist ein ganzes Sternensystem angeordnet. Kugeln unterschiedlicher Größen hängen in der Luft. Manche von ihnen sind an einzeln von der Decke herabfallenden Schnüren befestigt, andere gemeinsam mit einem großen Rad verbunden. Dreht sich dieses Rad, geraten auch die Kugeln auf Flugbahnen, die aus der Kreisform auszubrechen versuchen, deren Zentrum allerdings immer die Nabe des Rades bildet, mit dem sie verknüpft sind. Man fühlt sich ein wenig wie Galilei oder Kopernikus, die mit Modellen für Planetenbewegungen experimentieren.
Auslöser dieser Rotationen ist ein Vertreter der angewandten Physik: Tobias Piero Dohm ist Jongleur. Im Cave, dem Proberaum des Berliner Chamäleon Theaters, hat er in einer mehrwöchigen Residenz zum Material Sand experimentiert. Die Sandkörner sind dabei zum Teil größer geworden, eben zu den Kugeln, die wie Planetensysteme im Raum schweben. Die Kugelanordnung erweckt aber auch Assoziationen zur Gitterstruktur der Atome von Quarzsand. Zum Makrokosmos gesellt sich der Mikrokosmos, zu Kopernikus Niels Bohr. Jongleur Dohm bewegt sich zwischen diesen Kugeln. Er stupst sie an, bringt sie in geradlinige Pendelbewegungen, auf Kurven und Kreisbahnen. Er wirft auch selbst einige Kugeln in die Luft, fängt sie vor und hinter seinem Körper, nimmt mit dem Körper die Bewegungen der Objekte auf....
Erschienen am 23.11.2023
