Auftritt
Württembergische Landesbühne Esslingen: Die Tür zur queeren Identität steht offen
Württembergische Landesbühne Esslingen: „Muttersprache Mameloschn“ von Sasha Marianna Salzmann – Regie und Bühne Alexander Vaassen, Kostüme Wynonna Nixel
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Alexander Vaassen Württembergische Landesbühne Esslingen

Drei Generationen begeben sich in Sasha Marianna Salzmanns Stück „Muttersprache Mameloschn“ auf die Suche nach ihrer Identität. Da ist Rahel, der die Tür zum queeren zwar offen steht, deren Mutter und Großmutter jedoch nur zaghaft Verständnis zeigen. Diesen Familienkonflikt, der die Lebensgeschichte dreier jüdischer Frauen bündelt, untersucht Salzmann in tiefen, poetischen Dialogen. In Alexander Vaassens sensibler Inszenierung an der Esslinger Landesbühne verraten szenischen Streiflichter mal Bitterkeit, dann blitzt wieder Ironie durch.
Salzmann, 1985 in Wolgograd in der Sowjetunion geboren, kam 1995 mit den Eltern als sogenannter „jüdischer Kontingentflüchtling“ nach Deutschland. Die Suche nach der Identität prägt ihre Biografie. Als queere, jüdische Person weiß Salzmann, was Ablehnung und Hass mit Menschen machen. Im Leben zwischen den Kulturen die eigene Identität zu finden, ist das Thema in „Mameloschn“ – dem jiddischen Wort für Muttersprache. Das Spiel mit diesen Begriffen ist ein roter Faden des Stücks. Locker reiht Salzmann die Szenen aneinander. Drei Generationen ringen da um eine gemeinsame Sprache. Als Mitbegründer:in des Neuen Instituts für Dramatisches Schreiben und Hausautorin am Gorki-Theater in Berlin steht Salzmanns Theater für eine Vielstimmigkeit der Kulturen und der Generationen.
„Oma ist besser als Wikipedia“, findet Rahel, die sich auf Spurensuche in die Vergangenheit begibt. Anhand der Figuren erzählt Salzmann deutsch-jüdische Geschichte. In der dynamisch gestrafften Familienaufstellung treffen Welten aufeinander. Alexander Vaassen hat die kleine Podiumsbühne des Esslinger Theaters mit Türen in Rahmen strukturiert. Sie stehen isoliert im Raum. Mit diesem starken Bild zeigen die Schauspielerinnen die Barrieren, die sich zwischen den Generationen auftun. Immer wieder schlagen sie einander die Tür vor der Nase zu, weil sie einander nicht verstehen.
Die Großmutter Lin hat den Holocaust überlebt. Nach dem Krieg siedelte sie in die DDR um und feierte da als Sängerin Erfolge. Gesine Hannemann interpretiert die Figur ebenso liebevoll wie bissig. Ihre eigene Tochter Clara maßregelt sie für ihr gluckenhaftes Verhalten. Der Enkelin Rahel öffnet sie alle Türen für den Aufbruch in eine neue Welt. Großartig legt Hannemann die Gewissenskonflikte ihrer Figur offen. Wenn es um die Verflechtungen mit der Staatspartei SED geht, schaltet sie auf Durchzug. Dass Kostümbildnerin Wynnona Nixel die extrovertierte Seniorin in ein allzu nostalgisches Alt-Frauen-Outfit zwängt, wird Hannemanns vielschichtiger Rollenstudie kaum gerecht.
Das Outfit der jungen Rahel trifft die Figur genau. Mit einem alten, abgewetzten Koffer, wie man ihn aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs kennt, reist Rahel nach New York. Lily Frank zeigt die Zerrissenheit der queeren Person sehr sensibel, ohne dabei in Klischees abzudriften. Ihr Porträt eines jungen Menschen, der den Fesseln der Familie entfliehen will, ist ehrlich und schön. Den schwierigsten Part hat Franziska Theiner als Mutter Clara. Die starke Frau im grauen Business-Anzug hat bei ihren eigenen Kindern versagt. Beim Sohn hat sie die israelischen Wurzeln zu lange verleugnet, der zog daraufhin nach Israel und brach alle Brücken zur Familie ab. Die Tochter fühlt sich in ihrer queeren Identität nicht ernst genommen und flieht in die amerikanische Metropole. Klug zeichnet Theiner die Zerrissenheit ihrer Figur nach: „Du bist ihr zu viel Deutsche geworden, als dass du ihr helfen kannst“, sagt Großmutter Lin. Da widerspricht Clara: „Ich bin nicht zur Deutschen geworden. Ich bin schon immer eine Deutsche gewesen.“
In Salzmanns Text geht es um Sprachebenen. Die arbeitet Vaassen mit den Spielerinnen sehr genau aus. Jiddische und hebräische Passagen hat das Ensemble mit einem Coach geübt. Die Balance zwischen historischem Kontext und persönlichen Schicksalen meistern die Schauspielerinnen stark. Ohne zu plakativ zu wirken, verortet Regisseur Vaassen den Text im zeitgenössischen Kontext. Alle drei Frauen leiden darunter, dass sie die eigene Vergangenheit nicht aufarbeiten konnten. Hin- und hergerissen zwischen der politischen Wirklichkeit und ihren jüdischen Wurzeln, kommen sie nicht weiter.
Das Bild der Türen, von Vaassen dramaturgisch konsequent durchdacht, bieten den Akteurinnen nicht nur großartige Spielmöglichkeiten. Damit unterstreicht der Regisseur die Notwendigkeit, offen zu der verdrängten Geschichte zu stehen, die Teil jeder Persönlichkeit ist. In Zeiten von Hass und Antisemitismus ist dieses Geschichtsbewusstsein wichtiger denn je.
Erschienen am 9.12.2025




















