Es gibt Lichtdramaturgie
Für Torsten König (2019)
von Mark Lammert
Erschienen in: Rot Gelb Blau – Texte zum Theater (10/2019)
Wir standen an der Reling, zwölf Personen auf einem kleinen Schiff, Baujahr 1947. Es schien die Sonne. Man nennt das Königswetter. Als das Schiff seine Position erreicht hatte, drei Seemeilen vor Warnemünde, 54° 13’ N 12° 06’ E, erschollen, mitgebracht und ausgewählt von seinem Regisseur, die ersten zwei Sätze aus dem 8. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch. Die sich innerhalb von 36 Stunden auflösende Urne wurde der See übergeben, nachdem der Kapitän gesprochen hatte. Zwei Freunde sprachen später, kurz.
2.
Auch ich hätte etwas sagen wollen. Aber das Bild war zu stark: Während das Schiff den Beisetzungsort kreisend umfuhr und das Signal des Typhons zum Abschied erscholl, näherte sich erst tangential und dann mitten durch den Kreis direkt auf das Schiff zufahrend ein weißes, sehr kleines Schiffchen. Es hörte auf den Namen VAGINA oder war auf diesen Namen getauft.
3.
Vermutlich jeder an der Reling backbord wird diese Szene in diesem Moment, ohne dass es ausgesprochen wurde, registriert haben. Ihr Wahnsinn und ihre Schönheit lagen nicht darin, dass es absurd, grotesk, theatralisch, abartig oder sonst etwas war. Natürlich blitzte in einem sekundenfreudigen Moment der Verdacht auf, hier wäre Regie im Spiel, außerirdisch oder überirdisch. Aber der Gedanke wurde sofort verdrängt von...