Das Theater leben: DIE HANDLUNG
29 Nomaden
von Julian Beck
Erschienen in: Das Theater leben – Der Künstler und der Kampf des Volkes (05/2021)
Das Leben der Nomaden ist kürzer, aber das breite Spektrum ihrer Erfahrungen macht das wett.
In die Theater rein und wieder raus, Autos beladen und entladen, rein in Hotels und wieder raus, Schnee, Regen, Eis, kein Basislager, als wäre man ein Briefträger, eine Karawane oder eine Versorgungsstraße. In einer Zeit, in der Chauvinismus die Leute fest im Griff hat, ist es eine Freude und lebensnotwendig, Grenzen zu überqueren, wenn die Zollbeamten auch gern unsere Taschen, Arschlöcher und Bucheinbände nach Subversivem durchsuchen. Sie liegen falsch, aber auch wieder richtig, weil ich dieses Gefängnis einreißen will. Aber mein Atem wird flach, meine Muskeln verkrampfen, ich zittere und meinen Angstdrüsen arbeiten wie verrückt. Für ihre Suche nehmen sie mir ein, zwei Stunden meines Lebens, eigentlich Jahre, und während meine Wut anschwillt, unbezähmbare Wut, stehlen sie noch mehr von meiner Lebenszeit. Sie verurteilen mich zum früheren Tod. Wegen der Veränderung, die sie mir zumuten. Dafür sind Grenzposten da. Und deshalb, Genossen, muss nach dem Sonnenaufgang der Nationalismus als Erstes dran glauben.
Sie wollen nicht, dass Männer mit langen Haaren von hier nach dort reisen. Manche Länder, z. B. Mexiko, lassen einen mit langen Haaren überhaupt nicht einreisen; andere Länder, wie Marokko, wollen, dass man...