Impulse von den Rändern
von Henning Fülle
Erschienen in: Wir haben es einfach gemacht! – Reisen in internationale Theaterwelten (07/2024)
Wenn ich mich an meine eigenen Aktivitäten und Lektüren in den 1970er Jahren erinnere – ich habe von 1969 bis 1975 in Marburg studiert und bin anschließend nach Westberlin gegangen –, fällt mir bei den in diesem Kapitel versammelten Berichten und Schilderungen vor allem auf, dass die Akteur*innen, die hier sprechen, das getan, praktiziert haben, worüber ich vor allem gelesen und – freilich durchaus leidenschaftlich – diskutiert habe, in manchen Seminaren, in selbst organisierten Arbeitskreisen, Basisgruppen in und an der Peripherie der Universität. Aber auch am Kneipentisch oder in Wohngemeinschaften am Küchentisch.
Von besonderer Bedeutung und Atmosphäre und den Kontext deutlich treffend, sei hier Peter Schneiders Lenz5 genannt, jene Paraphrase auf Georg Büchners Erzählung über die tragische Figur des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, der etwa eine Generation vor Büchner gelebt hatte. In ihrer beider Leiden an den vor- und nachrevolutionären Zuständen in Deutschland um die Wende zum 19. Jahrhundert spiegelte Schneider die westdeutschen Zustände nach 1968, dem Jahr der Revolte: die in sozialliberalem Reformismus verfestigte Wiederherstellung eines nur leicht modernisierten Kapitalismus und die abstrakte Sterilität der Neuen Linken. Diese begab sich in den 1970er Jahren auf die Pfade einer hedonistischen Lebensreform oder in die schrecklich ernst gemeinten studentischen...