Nachwort mit Spiegel
von Peter Michalzik
Erschienen in: 100 Jahre Theater Wunder Schweiz (11/2020)
So lange ist es noch nicht her, dass Friedrich Dürrenmatt seine Laudatio auf Václav Havel mit „Die Schweiz – ein Gefängnis“ betitelte. Dürrenmatt hielt die Rede, in der er die Schweizer als Gefangene und Wärter zugleich betrachtet und bezeichnet, 1990. Die Rede steht in der Nachfolge von Frischs „Schweiz als Heimat?“, Lukas Bärfuss bewegt sich mit seinem Aufsatz „Die Schweiz ist des Wahnsinns“ ebenfalls in dieser Tradition.
„Die Schweiz als Gefängnis, … ein Gefängnis, wo hinein sich die Schweiz geflüchtet hat, weil alles ausserhalb des Gefängnisses übereinander herfiel, und weil sie nur im Gefängnis sicher sind, nicht überfallen zu werden, fühlen sich die Schweizer frei, freier als alle anderen Menschen, frei als Gefangene im Gefängnis ihrer Neutralität. Es gibt nur eine Schwierigkeit für dieses Gefängnis, nämlich die zu beweisen, dass es kein Gefängnis ist, sondern ein Hort der Freiheit.“ Die Worte haben heute neue Aktualität.
Zeitzeugen behaupten, dass man Dürrenmatt nach seiner Laudatio alleine stehen liess. Trotzdem ist deutlich: Die Schweiz liebt und hasst es, wenn man ihr den Spiegel vorhält. Das kann auch von aussen kommen, das hat Castorf mit „Justiz“ getan, das hat Yana Ross mit dem „Kirschgarten“ getan. Barbara Frey bezeichnet Zürich als eine Stadt, die ununterbrochen...