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kirschs kontexte: Fresse halten? Bloß nicht!
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Jammer und Glorie – Der Regisseur Krzysztof Warlikowski (12/2014)
Neuerdings kursiert eine Idee, deren Umsetzung, so ihre Verteidiger, die Theater auf den aktuellen Stand der Technik bringen soll: Wie wäre es, wenn die Bühnen beginnen würden, ihre Premieren als Online-Stream zur Verfügung zu stellen, so dass man die Aufführungen auch per Internet und vom iPad aus verfolgen könnte? Und es war abzusehen: Die einen befürchten nun, dass damit der endgültige Ausverkauf einer geschundenen Bühnenkultur besiegelt ist, eine „Theaterzerstörung der ganz eigenen Art“ (Gerhard Stadelmaier). Und die anderen, die Befürworter, wähnen sich für innovativ, aufgeschlossen und auf der Höhe heutiger medialer Umwelten. Die Krux ist nur: So wie die Debatte geführt wird, ist sie nichts als die jüngste Auflage eines Streits, der sich bislang noch an jedes Massenmedium geknüpft hat, ein ewiges Hin und Her zwischen Medienexorzisten und -fetischisten. Als sich etwa im 19. Jahrhundert die Fotografie durchsetzte, fürchteten die Exorzisten, dass die fotografierten Dinge selbst durch ihre Ablichtung überflüssig und am Ende ersetzt würden. Und die Fetischisten brachen in Begeisterungsstürme über ebendiese Ersetzbarkeit aus und feierten das Foto als quasilebendiges Double der Welt. Was die beiden Parteien indes verbindet und sie am Ende zu einer einzigen macht, ist ein und derselbe Glaube an die Trennbarkeit von Sein und Schein,...