Die Ente in der Flasche
Erschienen in: Heiner Müller – Anekdoten – Gesammelt und herausgegeben von Thomas Irmer (08/2018)
Die Ente in der Flasche
Am 22. Dezember 1995, acht Tage vor seinem „Tod in Berlin“, besuchte ich den Dramatiker Heiner Müller im Münchener „Klinikum rechts der Isar“. Wir saßen an einem Tisch der Cafeteria, die immer dicht besiedelt war von mehr oder weniger krank aussehenden Menschen in Jogginganzügen und Bademänteln, weil man innerhalb des Klinik-Geländes nirgends sonst als dort eine Sorte eines schwach alkoholischen Getränks, nämlich Piccolo-Portionen des Sektes Mumm, kaufen und sogar noch rauchen konnte.
Heiner war jedes Mal gekleidet, als wolle er gleich gehen; an jenem Tag trug er einen Trenchcoat, ein Wolljackett, einen Schal und einen viel zu weiten, schwarzen Pullover, aus dem er – mit seinen von den dicken Brillengläsern noch vergrößerten grauen Augen und den nun scharf hervortretenden Konturen der Nase im abgemagerten Gesicht – herausschaute wie ein Geierküken, das auf Futter wartet. Wir sprachen wenig; es gab lange Pausen zwischen Heiners einsilbigen Fragen, auf die ich mich dankbar stürzte, und meinen bemüht lustigen Antworten.
Irgendwann, ich glaube bei Heiners zweitem und meinem dritten Piccolo, redete ich von einem Freund, der mir eine Geschichte erzählt hatte und bald darauf gestorben war.
Wann, fragte Heiner.
Ich sagte ihm, dass Harry, den Heiner nur flüchtig kannte,...