LITAUEN
Paradoxien des litauischen Theaters
von Audronis Liuga
Erschienen in: Recherchen 61: Landvermessungen – Theaterlandschaften in Mittel- und Osteuropa (12/2008)
Mit dem Beitritt Litauens zur Europäischen Union wurde es populär, die Frage zu stellen: »Wie können wir für Europa interessant sein?« Litauen hatte sich durch das litauische Theater und den Basketball bereits erfolgreich international als »Marke« exportiert. Die berühmtesten Theaterregisseure und Basketballspieler Litauens arbeiten und gastieren weltweit. Insofern geben ihre Leistungen im Bereich Theater sehr wohl Anlass zu nationalem Stolz auf die litauische Kultur, auch in Hinblick auf den Wunsch, »interessant für Europa« zu sein. Allerdings verschleiert die glänzende Oberfläche des litauischen Theaters die Komplexität seiner Herausforderungen und Probleme in einer neuen wirtschaftlichen und kulturellen Realität.
Die gesamte Geschichte des professionellen litauischen Theaters (die erst 1920 begann) lässt sich mit Namen berühmter Theaterregisseure in Verbindung bringen. Es ist die Geschichte des Zusammenwirkens und der Veränderung individueller Vorstellungen von Theater, die die unterschiedlichen ästhetischen Ansätze eines jeden Regisseurs widerspiegeln. Die Renaissance des litauischen Theaters in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist eng verbunden mit den Traditionen der Avantgarde. Allerdings hat die Erscheinungsform dieser Avantgarde des litauischen Theaters eine Mainstream-Position eingenommen und wurde durch die Notwendigkeit inspiriert, eine künstlerische Sprache zu finden, die zum Widerstand gegen totalitäre Dogmen beiträgt und die das Publikum zum Denken und zur Wahrnehmung universeller moralischer Kollisionen...