Zürcher Direktionspolitik und Widerstand mit „Tell“
von Peter Michalzik
Erschienen in: 100 Jahre Theater Wunder Schweiz (11/2020)
Ferdinand Rieser konnte sich nicht mehr halten. Er verkaufte. Nach seiner Emigration in die USA wurde das Schauspielhaus wieder ein richtiges Aktientheater, wesentliche Anteile übernahm nach langen Auseinandersetzungen die Stadt Zürich –
und der 1932 in Basel gegangene, in Frankfurt am Main arbeitende Oskar Wälterlin wurde neuer Direktor. Es waren harte Auseinandersetzungen gewesen: Es war nicht nur um viel Geld gegangen, das Theater gehörte ja noch Rieser, es ging nicht nur um eine Beteiligung der Stadt, die das Theater auf keinen Fall übernehmen wollte, es ging auch um den Erhalt des Ensembles – und um die neue Leitung, unter anderem waren auch die linken Kurt Hirschfeld und Gustav Hartung zur Diskussion gestanden.
Der Vorschlag Wälterlin kam von der Fremdenpolizei. Der Mann war ein Schweizer, aber, wie die Zeit in Frankfurt gezeigt hatte, von den Nazis gelitten. So wurde er vom Ensemble eher skeptisch als freudig begrüsst. Was aber wollte Heinrich Rothmund, der Leiter der Fremdenpolizei, mit seinem Vorschlag erreichen? „Wir wollen weder ein Nazi- noch ein Emigrantentheater“, schrieb er 1939, was sich in der Praxis weniger gegen Nazis als gegen Emigranten richtete. Man mag skeptisch sein, ob er genau wusste, wen er mit Wälterlin vorschlug. Man mag ebenfalls skeptisch sein,...