Das Sprechtheater in der Romandie von 1920 bis 1970
von Peter Michalzik
Erschienen in: 100 Jahre Theater Wunder Schweiz (11/2020)
Die Westschweiz erzählt ihre Theatergeschichte ganz anders. Seit vielen Jahrzehnten tut sie das gern auf eine ganz bestimmte Weise, die sich vollkommen von der Geschichte im Osten unterscheidet. Diese Erzählung hat etwas von einer Legende, es klingt, als ginge es um ein Wunder. Lange sei das Theaterleben hier, so geht diese Legende, nicht mal ein fahler Reflex der französischen Bühnen gewesen. Gastspiele aus Frankreich seien alles gewesen, was zu sehen war, professionell seien allein die Vermittlungsagenturen gewesen.
Dann aber, nach dem Zweiten Weltkrieg, begann das Theater überraschenderweise zu erblühen. So etwa Geo-H. Blanc im „Schweizer Theaterbuch“ von 1964. Ja, blühend, sei die Situation inzwischen, nach der langen Dürre, meinte 1980, 16 Jahre später, immer noch glücklich und stolz, der Schauspieler und Radiomann Paul Vallotton, in dem Band „Das Theater – unsere Welt. Le théâtre – notre monde“ über das Theater der siebziger Jahre. Und so klingt es immer noch, wenn heute in der Westschweiz von den ersten drei Vierteln des vergangenen Jahrhunderts erzählt wird.
Beide, Blanc und Vallatton, waren Waadtländer, sie kannten alles, was das Westschweizer Theater betraf. Trotzdem ist ihre Sicht nur die halbe Wahrheit. Weil es in Lausanne und Genf damals nur je eine professionelle Truppe gab, vernachlässigten...