Theater der Zeit

I. EINLEITUNG

4. Kultur – Industrie

4.1 Kulturindustrie bei Ariadne und Mahagonny

von Charlotte Wegen

Erschienen in: Recherchen 163: Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny im Spiegel von Mythos und Religion – Eine Untersuchung der Opernwerke Ariadne auf Naxos und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (05/2022)

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Wenn diese Untersuchung die Opern Ariadne und Mahagonny in Verbindung mit dem Begriff der Kulturproduktion setzt, so tut sie dies aus der Überzeugung, dass beide Werke thematisch im kulturproduktiven Kontext und damit im wie auch immer gearteten Zeichen des Kapitalismus stehen. Auf der ersten Betrachtungsebene könnte hierfür gewiss das Vorspiel in Ariadne herhalten, das mit seiner »Zwangsvereinigung von ›Tanzmaskerade‹ und ›Trauerspiel‹«148 und der mehr oder weniger ad nauseam diskutierten mäzenatischen »Willkür des Hausherrn« nicht spießigen Geschmack, »sondern die Macht des Geldes über die Kunst offenbart«.149 Es geht also zunächst und offenbar »um das Ringen des genialen Menschen um einen unverstellten Ausdruck, der durch die aufoktroyierten Formalia von Produkten der Kunst getrübt wird, die mit der ursprünglichen Inspiration nichts mehr zu tun haben«150, denn es »treiben nunmehr gegen den Willen des Komponisten in Ariadne auf Naxos mitbeteiligte Kulturproduzenten sein Werk über die Grenzen dessen, was er seinem Schaffen als Rahmen gesetzt hat«.151 Ähnlich naheliegend ist denn auch das antikapitalistische Element in Mahagonny, das sich allen voran in der Hinrichtungsszene des dritten Aktes prominent besprochen sieht:

Der Holzfäller Paul Ackermann […] wird an dem einzigen Tabu scheitern, das in Mahagonny herrscht und das zu verletzen einem Verbrechen gleichkommt: Ihm fehlt das Geld, um drei Flaschen Whiskey und eine Storesstange zu bezahlen. Kein Geld zu haben, was das größte Verbrechen ist / Das auf dem Erdenrund vorkommt, wird in Mahagonny mit der Todesstrafe geahndet. Brechts Oper versteht sich als Spiegelbild kapitalistischer Realität, in der Geld den menschlichen Alltag beherrscht und die sozialen Beziehungen einer totalen Verdinglichung unterwirft.152

Das Du darfst, das Paul Ackermann eigens für die Stadt Mahagonny entworfen hat, richtet sich in aller Härte gegen ihn selbst, das eigene Leben, kurzum: des Menschen Freiheit. Dabei offenbart das neue Gesetz seinen asozialen Charakter »völlig erst in der asozialen Gesellschaft des Kapitalismus, dessen anarchische Organisation es an die Oberfläche des gesellschaftlichen Verhaltens befördert […] Die totale Freiheit schlägt um in totale Unfreiheit, gerät sie unter die universale Herrschaft des Geldes«.153 In Ariadne ist die Kunst, bei Mahagonny die Freiheit explizit zur Ware geworden, kurzum die Welt, von der die jeweilige Oper handelt, ist vom Takt des Geldes geleitet – und damit käuflich. Sie impliziert mindestens in Teilen genau das, was die Kulturindustrietheorie und ihre Warencharakterdefinition moderner Gesellschaften so dezisiv prophezeite. Doch kann dies wahrlich nicht als jenes ausschlaggebende Bindeglied gehandhabt werden, das das Phänomen der Kulturproduktion an seine metaphorisch geltend gemachten Bezüge in Ariadne und Mahagonny koppelt. Wie die ersten Worte der Einleitung bereits besagten, sind es die primären Elemente von Kulturproduktion, die sich in den beiden Opernwerken übergeordnet zu erkennen geben: Im Zentrum ihrer Analyse steht die für Gegenwartsgesellschaften charakteristische Immergleichheit, ihr »Ausschluß des Neuen«154, die Wiederholung mit »starr repetierten, ausgehöhlten und halb schon preisgegebenen Inhalte[n]«155, ihre Beliebigkeit sowie die statische Handlung, der »hämisch der Fortgang verweigert [wird]«156.

In Ariadne ist es der Mythos, bei Mahagonny die Religion, die direkt in die kulturelle Produktion einer durch und durch verwalteten Welt überführen. Der Weg, der dorthin geleitet, wird nun im Weiteren zu zeigen sein.

148 Birkenhauer: »Mythenkorrektur als Öffnung des theatralischen Raums«, S. 268.

149 Ebd.

150 Stauss, Sebastian: Zwischen Narzissmus und Selbsthass: Das Bild des ästhetizistischen Künstlers im Theater der Jahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit (= Theatron. Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste Bd. 57), Berlin/New York 2010, S. 181.

151 Ebd. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass die zum Thema gemachte Dependenzbeziehung von Künstler und Geldgeber bei Ariadne in Form des Mäzens und seiner Verfügungsgewalt über Kunst zumindest zur Diskussion zu stellen ist. Fraglich ist, inwieweit das mäzenatische Handeln überhaupt kapitalistische Bezüge erlaubt, schließlich reicht das Mäzenatentum bis ins musisch belebte Hellas zurück und ist kein speziell kapitalistisches Phänomen. Den etymologischen Beweis, dass Kunstförderung und damit auch Kunstabhängigkeit schon im augustinischen Zeitalter Roms bestanden habe, gebe Gaius C. Maecenas, dessen Name zum Genrebegriff der Kunstförderung avanciert sei. Vgl. Hermsen, Thomas: Kunstförderung zwischen Passion und Kommerz. Vom bürgerlichen Mäzen zum Sponsor der Moderne, Frankfurt/M./New York 1997, S.12 ff. Nach Leopold von Wiese vertragen sich Mäzenatentum und wirtschaftsbürgerliches Kalkül eher schlecht, ihr innergesellschaftlicher Zusammenhang sei dabei aber Auslegungssache. Vgl. Wiese, Leopold von: Die Funktion des Mäzens im gesellschaftlichen Leben (= Kölner Universitäts-Reden 22), Köln 1929, S. 17. Nach Thomas Hermsen sei der Typus des bürgerlichen Kunstförderers seltener geworden. Die Verbürokratisierung ihrer leitenden Funktionen im Wirtschaftsprozess nötige ihnen ein instrumentelles Verhältnis zur Kunst auf. Kunst werde in der modernen Gesellschaft nun so betrachtet, wie man Waren in einem Kaufhaus betrachte – eine Erfahrung, für die Hermsen Manets Werk Bar in den Folies Bergère aus dem Jahre 1882 anführt, da hier der Warencharakter der Kunst in eine entsprechende Szenerie gesetzt werde. Vgl. Hermsen: Kunstförderung zwischen Passion und Kommerz, S. 58 f. Dazu passt auch die heute gängige Förderungspraxis, die in Kunst und Kultur in erster Linie einen Wirtschaftsfaktor erblickt. So sieht sich der Kunst- und Kulturbereich vor allem aufgrund einer ökonomischen Nutzenlogik gefördert; als ›soft fact‹ wertet Kunst- und Kultur den Standort auf und trägt so dazu bei, wirtschaftliche Kräfte zu dynamisieren. Für die Betrachtung von Ariadne muss im Hinterkopf behalten werden, dass trotz zunehmender Versachlichung der Mäzen als Typus nicht zur »altmodisch-liebenswürdige[n] Figur « stilisiert werden sollte. Vgl. von Wiese: Die Funktion des Mäzens, S. 5.

152 Jaretzky, Reinhold: Bertolt Brecht, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 61.

153 Joost, Jörg-Wilhelm/Müller, Klaus-Detlef/Voges, Michael: Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung, hrsg. v. Klaus-Detlef Müller, München 1985, S. 141.

154 DdA, S. 142.

155 Ebd., S. 144.

156 Ebd., S. 145.

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