Bericht
Balkan Brass und Brüche
Zirkus, Musik und Tanz treffen auf kulturelle Stereotype: In der diesjährigen Ausgabe des Spieltriebe-Festivals spielt das Theater Osnabrück mit westlichen Projektionen auf den Balkan
von Jens Fischer
Assoziationen: Tanz Zirkus Niedersachsen Dossier: Festivals Theater Osnabrück
Erschienen am 4.6.2025
Ist der Balkan als Pufferzone zwischen Orient und Okzident eine Erfindung Westeuropas, gespickt mit miesmacherischen Attributen als Projektion eigener Ängste oder für die Behauptung der eigenen zivilisatorischen Überlegenheit? Sicherlich sind Balkan-Stereotype mitverantwortlich für die Zweifel an der EU-Tauglichkeit Südosteuropas. Mit einem Gegenentwurf startet das 10. Spieltriebe-Festival des Theaters Osnabrück. Intendant Ulrich Mokrusch möchte mit seiner Eröffnungsinszenierung „Balkan Express“ nicht Abgrenzungsdiskurse, sondern Begeisterung schüren und setzt dazu auf nicht hinterfragte Jugoslawien-Nostalgie. Unter einem vielfarbigen Zirkuszeltdach zeigen Opernchor und Tanz-Compagnie die Jugo-Slawen als ein lustiges, buntes, friedlich fideles Partyvölkchen. „Es lebe Jugoslawien“, heißt es in gekonnt intonierten Schlagern auf der Bühne. Auch an Balkan-Popularisierungen wird angeknüpft, die etwa Filmmacher Emir Kusturica und Musiker Goran Bregović aus der Sinti- und Roma-Kultur entwickelten. Zur damit verbundenen positiven Anarchie werden negative Aspekte angedeutet und dabei überreichlich Vorurteile reproduziert. Bricht jemand auf der Bühne zusammen, wechseln sofort seine Uhr und Geldscheine die Besitzer:in. Ein „Jugo-Boss“ gibt mit feisten Koteletten und Schnäuzer den mit Geld korrumpierend um sich werfenden Obermacker. Auch Tänzer wissen um patriarchale Strukturen, verschaffen sich mal mit markigen Sprüngen Raum, während Tänzerinnen nur am Rand der Manege rotieren.
Bald zerfällt das alle schützende Zirkus-Dach, das Rotlicht des Tito-Sozialismus erlischt und das Osnabrücker Symphonieorchester lässt...
Erschienen am 4.6.2025
