Theater der Zeit

Auftritt

Landestheater Tübingen: Ein Skilift für Upflamör

„Jeder hat eine Schanze verdient!“ von Arnd Heuwinkel – Regie, Text und Künstlerische Gesamtleitung Arnd Heuwinkel, Bühne Jens Burde, Bühne und Kostüm Antonia Tittel, Chorleitung Schauspiel Florian Brandhorst, Komposition und Live-Musiker Beni Reimann, Burkhard Finckh

von Martin Bernklau

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Landestheater Tübingen (LTT)

„Jeder hat eine Schanze verdient“ von Arnd Heuwinkel in Upflamör. Foto Martin Sigmund
„Jeder hat eine Schanze verdient“ von Arnd Heuwinkel in UpflamörFoto: Martin Sigmund

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Schon dieser Name sollte als Welterbe gesichert werden: Upflamör ist ein abgelegener kleiner Teilort auf den rauen schwäbischen Albhöhen über Zwiefalten. Mit Hilfe von ein paar Profis des Tübinger LTT lud das dortige Theater in den Bergen am Samstag zur Premiere seines zweiten Stücks „Jeder soll seine Schanze haben“ und nahm dafür das ganze Dorf in Beschlag.

Es gibt in Upflamör noch die mittlerweile – weil seit Jahr und Tag sport-tauglicher Schnee ausblieb – völlig verrottete Bergstation eines Skilifts. Die gab vielleicht die Idee ab. Vor sechs Jahren hatte die Dorfgemeinschaft schon einmal eine theatralische Ortsbegehung veranstaltet, bei der es um eine Schatzsuche nach Öl ging. Jetzt stand in Arnd Heuwinkels krass zugespitztem Stück ein schmieriger Investor namens Maxi Untersteller (Jonas Hellenkämper) im Mittelpunkt, der dem Bürgermeister Bächler (Florian Brandhorst) das Projekt aufschwatzt, Upflamör zu einem XXL-Wintersportort mit Schanze, Bobbahn und kilometerlangen Skipisten aufzumotzen.

Einer solche theatralischen Satire ist fast alles erlaubt. Und sie kann mit eigenen Ideen überzeugen. Da gibt es Gruppen wie die Bau-Brigade mit Helmen und „Lugner“-Label, als deren jüngstes Mitglied die dreijährige Ida mitmachen kann. Schwäbische Schaffer, zum Nichtstun verdammt. Ganz toll ist die Yeti-Gruppe, in wunderbar reinweißen Eisbären-Kostümen, die am Ende als Klimaflüchtlinge aus dem Himalaya in Upflamörs Tiefkühltruhen Asyl findet.

Es gibt da aber auch die geldgeilen Upflamörer Honoratioren, die sich völlig hin und weg vom Bürgermeister und dem Schneeball-System des blau beanzugten Maxi einwickeln lassen. Von der ersten Szene an wird die Bürgermeister-Tochter Franzi (Rosalba Saöomon), heimgekehrt in langweiligsten Ort der Welt, behutsam zur Gegenfigur für die grotesken und größenwahnsinnigen Pläne ihres Vaters für ein St. Moritz auf der Schwäbischen Alb aufgebaut – bis zum handfesten Showdown.

Wirklich wunderbar werden all die Orte des Dorfs der Reihe nach­ abgegangen und mit szenischen Ideen gefüllt, die eigenes Charisma haben: der außerhalb gelegene Friedhof mit seiner Kapelle, das Rathaus mit der verfallenden alten Schule gegenüber, der verlassene Hof in der Ortsmitte mitsamt seiner (vielleicht eigens rekonstruierten Miste), der Skilift, der zum Funkmast gewordene Wasserturm.

Trotz Open air-Kulisse lief das Laienensemble zu Höchstleistungen auf, akkustisch beeidruckte auch die unglaublich variantenreiche Musikbegleitung des Duos aus Beni Reimann und Burkhard Finckh – vom Chanson bis zu Rap. Die Choreo der „Rich Kids Ski-Hasen“ war so klasse wie all die Kostüme überhaupt.

Es regnete nicht, trotz dem weiten und doch oft grau drohenden Himmel über der Alb. Aber es mag zur Premiere einen Kittel zu kalt und deutlich zu windig gewesen sein – und vielleicht doch auch etwas lang. Aber man hat in diesen knapp vier Stunden dieses Dorf und seine Bewohner nicht nur bewundern, sondern vielleicht sogar ein bisschen lieben gelernt. Unvergesslich war das jedenfalls.

Erschienen am 1.10.2024

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