Essay
Die Rückkehr der großen Geschichten
Die zeitgenössische Oper in den USA und Großbritannien hat nie den Kontakt zu einem größeren Publikum verloren – denn sie weiß emotionale Geschichten zu erzählen
von Stefan Keim
Erschienen in: Theater der Zeit: Neues Musiktheater (10/2025)
Assoziationen: Musiktheater Nordamerika Europa Dossier: USA Theater und Philharmonie Essen
Oper stand unter Kitschverdacht. Mehrere Generationen von Komponisten und Librettisten haben nach dem Zweiten Weltkrieg der klassischen Oper abgeschworen, den Liebesarien und Todesschwüren, der wilden Leidenschaft, gebändigt in kraftvollen Melodien. Sie suchten nach neuen Tönen, nach Brüchen, nach einer Möglichkeit, eine immer mehr zersplitterte und komplexer werdende Welt im Musiktheater darzustellen. Und verloren damit den Kontakt zu einem großen Teil des Opernpublikums, das nach Schönheit verlangt, nach packenden Geschichten, nach Gesamtkunstwerken, die einen nicht ständig mit der Hässlichkeit und Absurdität der Welt konfrontieren. Sondern auch Hoffnung und Utopien formulieren. So geriet die zeitgenössische Oper in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas ins Abseits. Viele Uraufführungen wurden gespielt und ebenso schnell wieder vergessen, viel zu oft Pflichtübungen für das gute Gewissen. Und ein großer Teil der Abonnent:innen tauschte seine Karten, wenn etwas Zeitgenössisches auf dem Spielplan stand. Oder kam einfach nicht.
Natürlich ist das eine sehr grobe Darstellung der Operngeschichte nach 1945. Es gibt eine Menge Ausnahmen. Dennoch ist es eine grundlegende Tendenz, die den überraschenden Erfolg der amerikanischen und englischen Opern in den vergangenen Jahren erklärt. Denn sie erzählen wieder Geschichten, setzen oft auf bekannte Themen, auf Vorlagen, die als Romane, Theaterstücke und Filme bereits bekannt sind. Sie sind wieder...
