Die Opernstadt Genf
von Peter Michalzik
Erschienen in: 100 Jahre Theater Wunder Schweiz (11/2020)
Man sagt in Genf, dass die Stadt eine Opern- und keine Theaterstadt sei. Man sagt hier, man neige in der Romandie dazu, das repräsentative und ästhetische (im Sinne von schöne) Moment des Theaters höher zu schätzen als anderswo. Das fliegende Auge stimmt dieser Auffassung vorbehaltlos zu. Bleiben wir zunächst weiter im Westen, wechseln aber das Terrain – vom Schauspiel zur Oper – und beginnen wir diesmal in der Gegenwart.
Da steht seit 2019 der aus Antwerpen gekommene Zürcher Aviel Cahn, in Flandern als Opernerneuerer bekannt geworden, an der Spitze des Grand Théâtre. Cahn formulierte es nicht explizit, aber es ist deutlich zu spüren: Er bewirbt sich mit der Oper Genf durchaus um den Platz als erstes Haus der Schweiz. Dabei ist der Innovationsschub an der Genfer Oper nur prominentester Ausdruck einer Bewegung, die die ganze Stadt ergriffen hat. Das Theater in Genf bewegt sich wie nie seit Voltaires Tagen.
Auch Cahns erste Ergebnisse sind vielversprechend. Er eröffnete mit „Einstein on the Beach“ (Musik: Philipp Glass), das bisher meist in der Uraufführungsinszenierung von Bob Wilson gezeigt wurde. In Genf machte Daniele Finzi Pasca (s.S. 125) daraus grosses, magisches, ideenverliebtes Zaubertheater – nicht ganz fern von Wilson, aber fern von „klassischer“ Oper....