Das Theaterlabor als Selbstermächtigung
von Henning Fülle
Erschienen in: Wir haben es einfach gemacht! – Reisen in internationale Theaterwelten (07/2024)
Ich muss mit einem Geständnis, einer Beichte beginnen: Ich habe das Theaterlabor und die Protagonist*innen des Dritten Theaters, die in diesem Buch zu Wort kommen, selbst nur zu einem geringen Teil gesehen; und, wenn sie mir begegneten, sie als Kunst, künstlerische Entwicklungen meist nicht ernst genommen. Peter Brook, Robert Wilson, Yoshi Oida und – etwas später – Ariane Mnouchkine, die ich in der Tat gesehen habe, hatten zwar einen großen Einfluss auf das Dritte Theater, gehörten aber im engeren Sinne nicht dazu. Was zum einen daran lag, dass ich mich ausbildungs- und berufsmäßig zunächst ziemlich weit entfernt von Kunst und Theater bewegte: Abitur 1969 in der Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt an der Westküste, Geschichts- und Politikstudium in Marburg, Staatsexamen für das Höhere Lehramt 1975. Und politisiert in der Nachfolge Rudi Dutschkes, im Sinne einer hoch theoretischen und reflexiven Konzeption, in Abgrenzung gegen die DKP, die in Marburg ihr intellektuelles Zentrum hatte.
Aber dies ist nur die eine Seite der Nicht-Wahrnehmung und des Nicht-Ernstnehmens der entstehenden Bewegung Freien Theaters. Die andere ist wiederum mit der westdeutschen Theaterentwicklung jener Jahre verbunden – oder besser: deren langjähriger Nicht-Entwicklung, die Anfang der 1970er Jahre mit Aplomb aufzubrechen begann. Für mich waren die Initiale für die bald...