Theater der Zeit

Auf nach Afrika!

Eine Ertüchtigung in vierzehn Aufsätzen

von Thomas Spieckermann, Christoph Nix und Nadja Keller

Erschienen in: Recherchen 106: Theater in Afrika – zwischen Kunst und Entwicklungszusammenarbeit – Geschichten einer deutsch-malawischen Kooperation (09/2013)

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Malawi liegt in Südostafrika, umgeben von Mosambik, Sambia und Tansania. Das Staatsgebiet ist geprägt durch den Malawi-See und durchzogen vom Ostafrikanischen Grabenbruch, einer geologischen Formation, die in der Urzeit die Entstehung der Gattung Homo ermöglichte. David Livingstone „entdeckte“ 1859 den Malawi-See für Europa, Großbritannien fügte das Gebiet 1891 in sein Empire ein. Die Unabhängigkeit erlangte Malawi erst 1964, nachdem die Gebiete Nord- und Südrhodesien sowie Nyassaland geteilt und als Sambia, Malawi und Rhodesien (heute Simbabwe) eigenständig wurden. Hastings Kamuzu Banda wurde der erste Staatspräsident, der diktatorisch bis 1994 regierte. Bakili Muluzi und Bingu wa Mutharika folgten im Amt, heute ist Joyce Banda Staatsoberhaupt. Malawi verfügt über wenige Ressourcen und gilt statistisch als eines der ärmsten Länder der Welt. Es dominiert die Agrarwirtschaft – Tee, Kaffee, Zuckerrohr und Tabak sind die wesentlichen Anbauprodukte. Die Kunst- und Kulturszene beschränkt sich hauptsächlich auf die beiden größten Städte des Landes – die Hauptstadt Lilongwe und Blantyre.

Nach Ende des dreijährigen Kooperationsprojekts zwischen dem deutschen Theater Konstanz und der malawischen Theatergruppe Nanzikambe Arts, nach über fünfzig interkontinentalen Flügen und einer Vielzahl von Gesprächen mit deutschen Ministerien, der Landesregierung und Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit, nach schlussendlich einer ganzen Spielzeit am Theater Konstanz, die sich dem Thema Afrika gewidmet hat, stellten wir uns die Frage: Was bleibt? Was bleibt von diesem Projekt, das in dieser Form vermutlich bislang einmalig war? Und was bleibt vom Engagement des Theater Konstanz in Afrika1, wenn die Spielzeiten sich nun wieder mit anderen Themen auseinandersetzen und die Projekte, die das Haus auch weiterhin unternimmt, keinen überregionalen Fokus und kaum zusätzliche Projektförderung haben?

Dass sich das Theater Konstanz auch über das Ende des Projektes Crossing Borders – von See zu See langfristig in Afrika engagiert, steht außer Frage. Auch jenseits dieser großen Kooperation werden die Theaterpartnerschaften in Malawi mit Nanzikambe Arts und Mwezi Arts und in Togo mit La Compagnie Louxor de Lomé weitergehen. Doch das Projekt kann zugleich auch ein Impuls sein für andere Theater oder kulturelle Institutionen, die sich zukünftig in Afrika oder anderen Teilen der Welt engagieren wollen. Dazu ist eine Dokumentation notwendig, ein Buch, das von unseren Erfahrungen und Strukturen, Hindernissen und Erfolgen berichtet und gleichzeitig das Erlebte in einen größeren Kontext stellt – den der Entwicklungszusammenarbeit.

Dieser Aufgabenstellung folgt diese Publikation, die sich in zwei Teile gliedert. Der erste Teil widmet sich dem Projekt Crossing Borders – von See zu See der Theater Konstanz und Nanzikambe Arts und beginnt mit einer Beschreibung der Kooperation von künstlerischer und organisatorischer Seite, mit der Darstellung des künstlerischen Ansatzes, des Werdegangs der Zusammenarbeit. Es folgen Ausführungen über die Rahmenbedingungen der Projektförderung und der politischen Institutionen. Die beiden Regisseure des Projektes – Thokozani Kapiri und Clemens Bechtel – beschreiben ihre Perspektiven auf die Klippen der Koproduktion, auf Stereotype und auf die gemeinsamen künstlerischen Arbeiten in anderem kulturellen Kontext. Die Schauspieler Otooli Masanza und Yannick Zürcher reflektieren ihr Erleben auf der Bühne und ihre Erfahrungen beim Arbeiten auf einem anderen Kontinent. Und der Kulturjournalist und Theaterkritiker Tobi Müller wirft einen Blick von außen auf das künstlerische Ergebnis der Kooperation.

Der Fokus des zweiten Teils des Buches liegt auf der Einordnung des Projektes in den größeren Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit2. Christoph Nix berichtet über seine Initiativen in Afrika, die ihn über Jahr­zehnte begleitet haben, der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht in einer Rede, die er im Theater Konstanz hielt, über die Be­deutung der Kunst in der auswärtigen Politik. Kristin Mbohwa-Pagels, Zilanie Gondwe-Nyundo, Smith Likongwe und Effie Makepeace stellen Betrachtungen über den Stellenwert und die Reichweite der Kunst in Ma­lawi an. Rolf Kappel, Professor an der Eidgenössischen Technischen Hoch­schule in Zürich, ordnet die Kunst in den Kontext der ökonomischen Si­tuation und der Entwicklungszusammenarbeit ein und Bernd Eisenblätter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Interna­tionale Zusammenarbeit, stellt die Grundsatzfrage, was „Entwicklung“ denn überhaupt bedeutet.

Wir danken allen Autoren herzlich dafür, dass sie sich von uns für dieses Buch begeistern ließen und so viel ihrer Zeit eingebracht haben. Für ihre Unterstützung und Mitarbeit danken wir auch den Übersetzern, Verlagsmitarbeitern, Grafikern und Fotografen vielmals. Natürlich gebührt auch den am Projekt Crossing Borders – von See zu See Beteiligten an dieser Stelle großer Dank: Ohne die Finanzierung des Fonds Wanderlust der Kulturstiftung des Bundes und die Vermittlung des Goethe-Instituts hätte es das Projekt in dieser Form nicht gegeben. Und ohne die vielen unermüdlichen und leidenschaftlichen Mitarbeiter beider Theater hätte es das Projekt überhaupt nicht gegeben. Liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Mitstreiter, euch und Ihnen können wir nicht genug danken! Wir hoffen, dieses Buch ist für die Beteiligten beider Theater Erinnerung, Reflexion und Ansporn zugleich.

 

1 Wenn wir in diesem Buch vom Engagement des Theater Konstanz „in Afrika“ sprechen, ist das natürlich im Grunde vermessen. Wir versuchen daher, konkret von unseren Kooperationen mit einzelnen Partnern in ihren jeweiligen Ländern zu berichten. Wo an manchen Stellen zur Vereinfachung, oder, weil der Blick über die Grenzen einzelner Länder hinausgeht, von „Afrika“ gesprochen wird, ist stets Subsahara-Afrika gemeint.

2 Bezüglich der Begriffe „Entwicklungspolitik“ und „Entwicklungszusammenarbeit“ schließen wir uns der Definition des Staatsministeriums Baden-Württemberg an: „Entwicklungspolitik“ meint alle Maßnahmen im In- und Ausland zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Situation der Menschen. „Entwicklungszusammenarbeit“ meint konkrete auslandsbezogene Kooperation mit Partnerinnen und Partnern in Entwicklungsländern oder Projekte in Entwicklungsländern.

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